Das Bundesarbeitsgericht (BAG) stellt klar, dass Teilzeitbeschäftigte bei Überstunden genauso behandelt werden müssen wie Vollzeitkräfte. Wer Unterschiede macht, braucht eine stichhaltige Begründung (Urt. v. 05.12.2024, Az. 8 AZR 370/20). Der Blogbeitrag zeigt auf, welche Maßnahmen Arbeitgeber jetzt ergreifen können.
Der Fall
In dem zugrundeliegenden Fall klagte eine Teilzeit-Pflegekraft gegen ihren Arbeitgeber auf Zahlung von Überstundenzuschlägen. Dieser gewährte die Überstundenzuschläge erst ab Überschreiten der Vollzeit-Arbeitszeit. Das BAG stellte klar, dass diese Praxis diskriminierend ist. Dies gelte sowohl geschlechterunabhängig gegenüber Teilzeitkräften als auch mittelbar gegenüber Frauen, wenn im Betrieb deutlich mehr Frauen als Männer in Teilzeit arbeiten. Als Konsequenz erhielt die Klägerin rückwirkend Überstundenzuschläge und eine Entschädigung nach dem Allgemeinen Gleichbehandlung Gesetz (AGG).
Hintergrund der Entscheidung
Gemäß § 4 Abs. 1 TzBfG dürfen teilzeitbeschäftigte Arbeitnehmer nicht schlechter behandelt werden als ihre vollzeitbeschäftigten Kollegen, es sei denn, sachliche Gründe rechtfertigen dies. Für Überstundenzuschläge orientierten sich bislang viele Arbeitgeber, Gewerkschaften und Betriebsräte an der Regel, dass Teilzeitbeschäftigte erst dann Überstundenzuschläge erhalten, wenn sie die Arbeitszeit von Vollzeitkräften überschreiten.
Diese Praxis wurde durch eine Gesamtbetrachtung der Vergütung gerechtfertigt:
Teilzeit- und Vollzeitbeschäftigte erhalten für die gleiche Anzahl an Arbeitsstunden die gleiche Vergütung, unabhängig davon, wie viele Stunden sie insgesamt arbeiten.
Solange diese Voraussetzung erfüllt sei, liege keine Ungleichbehandlung zwischen den beiden Beschäftigungsgruppen vor. Demnach hatten Teilzeitbeschäftigte erst ab Überschreiten der Vollzeit-Arbeitszeit einen Anspruch auf Überstundenzuschläge.
Das BAG hatte diese Praxis zunächst als rechtlich unproblematisch bewertet. Es änderte jedoch jüngst seine Rechtsprechung und verlangte eine getrennte Betrachtung der Vergütungsbestandteile (d.h. Grundvergütung und Zuschläge), um mögliche Diskriminierungen auszuschließen. Das BAG legte die Frage schließlich dem Europäischen Gerichtshof (EuGH) zur Klärung vor. Dieser entschied, dass eine Überstundenregelung, die ausschließlich auf die Überschreitung der Arbeitszeit von Vollzeitkräften abstellt, Teilzeitbeschäftigte diskriminiere, wenn kein sachlicher Grund eine unterschiedliche Behandlung rechtfertige.
Klare Grenzen durch das BAG
Diesen Vorgaben folgte nun der 8. Senat des BAG und entschied:
1. Überstundenregelungen müssen für alle Beschäftigten gleichermaßen gelten. Teilzeitkräfte dürfen nicht benachteiligt werden, nur weil sie insgesamt weniger arbeiten.
2. Eine unterschiedliche Behandlung kann auch in Zukunft durch sachliche Gründe gerechtfertigt sein. Allerdings müssen diese aus der Regelung klar erkennbar und nachvollziehbar sein. Anderenfalls drohen Diskriminierungsvorwürfe. Die Hürde für eine solche Rechtfertigung dürften aber nach der neusten Rechtsprechung hoch sein: Pauschale Grenzen müssten wohl die individuellen Auswirkungen der Arbeitsbelastung und die speziellen Gründe für Teilzeitarbeit, wie etwa private oder gesundheitliche Belastungen, berücksichtigen.
Die Entscheidung bricht mit der bisherigen Praxis vieler Unternehmen, Betriebsparteien und Gewerkschaften. Konkret bedeutet sie, dass Teilzeitkraft entgegen der bisherigen Praxis einen Anspruch auf Überstundenzuschläge ab der ersten Überstunde haben.
Zahlen & Fakten:
In Deutschland arbeiten 12,2 Millionen Menschen (31 %) in Teilzeit, darunter 50 % der Frauen und 13 % der Männer, wie Zahlen des Statistischen Bundesamts zeigen. Bei Eltern sind es 67 % der Frauen und 9 % der Männer. Ein Viertel der Teilzeitkräfte wählt bewusst weniger Stunden, ohne gesundheitliche oder familiäre Gründe.
Arbeitgeber sollten pro-aktiv handeln
Das BAG stärkt mit diesem Urteil die Rechte von Teilzeitbeschäftigten und setzt die Maßstäbe des EuGH konsequent um. Arbeitgeber sollten eine Bestandsaufnahme machen und die Folgen genau abwägen:
Bestehende Regelungen prüfen und anpassen
Arbeitgeber sollten bestehende Regelungen auf die neue Rechtsprechung überprüfen und finanzielle Risiken unter Berücksichtigung von Ausschlussfristen einschätzen. Das Urteil erging zu einer tarifvertraglichen Regelung. Es ist aber davon auszugehen, dass sie auch auf Betriebsvereinbarungen und Arbeitsverträge übertragbar ist. Stammen die Zuschlagsregelungen aus Arbeitsverträgen oder Betriebsvereinbarungen, können Arbeitgeber diese einfacher anpassen. Bei tarifvertraglichen Regelungen sind Änderungen nur durch Verhandlungen der Tarifparteien möglich.
Diskriminierungsrisiken minimieren
In Betrieben mit vielen weiblichen Teilzeitkräften könnte zusätzlich eine mittelbare Diskriminierung nach dem AGG vorliegen. Das BAG sprach im konkreten Fall eine (geringe) Entschädigung von 250 Euro zu. Auch um das potenzielle Diskriminierungsrisiko zu minimieren, sind die bestehenden Regelungen zu prüfen und anzupassen.
Anpassungen von Dienstplänen
Unternehmen sollten in ihrer Personalplanung berücksichtigen, dass Teilzeitkräfte ab der ersten Überstunde Anspruch auf Zuschläge haben.
Offene Fragen
Unklar bleibt, ob die neue Rechtsprechung im Gegenzug zu einer Benachteiligung von Vollzeitkräften führen könnte und ob die Rechtsprechung auf Bereitschaftsdienste anwendbar ist. Eine Klärung hierzu wird erst durch die Veröffentlichung der Urteilsgründe erwartet.
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