Betriebsräte müssen bei Einstellungsprozessen fortan auch digitale Bewerbungsunterlagen akzeptieren, solange sie denselben Informationsgehalt bieten wie traditionelle Papierdokumente. Dies bedeutet, dass Unternehmen ihre Einstellungsprozesse digitalisieren können, solange sie sicherstellen, dass der Betriebsrat alle notwendigen Informationen erhält.
Vor jeder Einstellung hat der Arbeitgeber nach deutschem Recht die Zustimmung des Betriebsrats einzuholen. Verweigert der Betriebsrat die Zustimmung, kann der Arbeitgeber die Zustimmung durch ein kostspieliges Zustimmungsersetzungsverfahren beim Arbeitsgericht ersetzen lassen. Um das zu vermeiden, sollte der Betriebsrat über die konkrete Einstellung ordnungsgemäß unterrichtet werden – hierzu gehört die Pflicht des Arbeitgebers zur „Vorlage“ der erforderlichen Bewerbungsunterlagen.
Hintergrund
Vor wenigen Tagen ist ein Beschluss des Bundesarbeitsgerichts vom 13. Dezember 2023 (Az. 1 ABR 28/22) veröffentlicht worden, in dem sich das Bundesarbeitsgerichts mit der Frage befasst hat, wann der Arbeitgeber seiner Pflicht zur Vorlage der Unterlagen im Rahmen eines digitalen Bewerbungsverfahren genügt. Das Betriebsverfassungsgesetz (BetrVG) regelt insbesondere auch die Mitbestimmung der Betriebsräte bei Einstellungen. Die Digitalisierung verändert zunehmend, wie Unternehmen ihre Mitarbeiter einstellen. Die Verwendung digitaler Bewerbungsunterlagen, Online-Interviews und anderer digitaler Auswahlverfahren wird dabei immer häufiger. Dies bringt neue Herausforderungen für die Mitbestimmung der Betriebsräte mit sich.
Sachverhalt
Der Beschluss des Bundesarbeitsgerichts bezieht sich auf einen Fall, in dem sich ein Betriebsrat weigerte, einer beabsichtigten Einstellung eines Mitarbeiters zuzustimmen. Zuvor hatte der Arbeitgeber die erforderlichen Bewerbungsunterlagen aller Bewerber samt Stellenbeschreibung und vorgesehener Eingruppierung in einem internen und externen digitalen Bewerbungsportal mithilfe einer Software zum „Recruiting“ hinterlegt, auf das der Betriebsrat Zugriff hatte. Der Betriebsrat berief sich darauf, dass dieser nicht ordnungsgemäß unterrichtet worden sei, da der Arbeitgeber diesem sämtliche Bewerbungsunterlagen in (Original-)Papierform hätte vorlegen müssen. Daraufhin beantragte der Arbeitgeber beim Arbeitsgericht, die Zustimmung des Betriebsrats zu ersetzen.
Entscheidung
Nachdem bereits die Vorinstanzen dem Antrag des Arbeitgeber stattgaben, schloss sich das Bundesarbeitsgericht diesen inhaltlich an.
Die gerichtliche Zustimmungsersetzung setze eine ordnungsgemäße Unterrichtung des Betriebsrats voraus.
Der Arbeitgeber habe den Betriebsrat über die geplante Einstellung unter Vorlage der erforderlichen Unterlagen zu informieren. Erforderlich und ausreichend sei eine Unterrichtung, die es dem Betriebsrat ermöglicht, aufgrund der mitgeteilten Tatsachen zu prüfen, ob einer der gesetzlich genannten Zustimmungsverweigerungsgründe gegeben ist. Diesen Anforderungen werde auch die Unterrichtung mittels digitaler Bewerbungsunterlagen gerecht.
Demnach sei den Vorgaben nach § 99 BetrVG genüge getan, wenn ein Arbeitgeber einem Betriebsrat ein auf die digital vorhandenen Bewerbungsunterlagen aller Bewerber bezogenes Einsichts- und Leserecht gewähre. Damit habe der Betriebsrat die Möglichkeit, mithilfe der ihm zur Verfügung stehenden Computer jederzeit die im Programm hinterlegten Anschreiben und Lebensläufe sowie Zeugnisse und Zertifikate sämtlicher Bewerber einzusehen. Hierdurch könne sich der Betriebsrat diejenigen Informationen verschaffen, die er benötige, um sein Recht zur Stellungnahme sachgerecht ausüben zu können. Entgegen der Auffassung des Betriebsrats ist der Arbeitgeber nicht gehalten, ihm die Bewerbungsunterlagen in Papierform vorzulegen.
Rechtsfolgen/Fazit
Die Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts hat mehrere Implikationen für Unternehmen und Betriebsräte:
Unternehmen: Unternehmen sollten ihre digitalen Einstellungsprozesse so gestalten, dass sie transparent und datenschutzkonform sind. Sie sollten sicherstellen, dass die Betriebsräte den Zugang zu den erforderlichen Unterlagen haben und in der Lage sind, die digitalen Unterlagen angemessen zu prüfen und zu verstehen, sodass ihre Mitbestimmungsrechte nicht beeinträchtigt werden.
Betriebsräte: Betriebsräte sollten sich auf die Digitalisierung einstellen und bereit sein, digitale Unterlagen zu akzeptieren. Dies erfordert möglicherweise Schulungen oder Unterstützung, um sicherzustellen, dass sie den digitalen Prozess korrekt interpretieren können.
Insgesamt ist die Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts ein richtiger Schritt in Richtung einer moderneren und effizienteren Arbeitswelt. Während Betriebsräte möglicherweise Bedenken hinsichtlich Datenschutz, Transparenz und technischer Kompetenz haben, zeigt der Beschluss des Bundesarbeitsgerichts, dass digitale Prozesse zu akzeptieren sind, solange sie dieselben Informationen bieten wie traditionelle Methoden. Die Entscheidung erstreckt sich bislang lediglich auf Einstellungen nach § 99 Abs. 1 BetrVG. Dass sie sich auch auf die weiteren in § 99 Abs. 1 BetrVG genannten Einzelmaßnahmen wie Eingruppierungen, Umgruppierungen sowie Versetzungen erstrecken lässt, scheint aber wegen der vergleichbaren Interessenlage als naheliegend.
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