Wie dem Fachkräftemangel begegnen? Ein Blick auf arbeitsrechtliche Möglichkeiten
Recruiter, HR Manager und Personalentwickler stehen vor einer besonderen und insbesondere langfristigen Herausforderung, die sich zukünftig eher verschärfen als abmildern wird. Gehen die Babyboomer, also die in den fünfziger und sechziger Jahren des letzten Jahrhunderts geborenen Menschen, ab 2025 in den Ruhestand, fallen im Laufe der kommenden fünf Jahre etwa 30 % der heute Werktätigen weg. Dieser enorme Verlust an Arbeitskräften kann sicher nicht allein durch Verdichtung der Arbeit und Restrukturierungen aufgefangen werden.
Wie können Unternehmen dieser Herausforderung entgegentreten? Arbeitsrechtlich gibt es durchaus einige Instrumente, der Situation des Personalmangels entgegenzuwirken:
Fluktuation/Abwanderung verhindern
Um den Personalbestand zu halten und Fluktuation und Abwanderung zu verhindern, stehen Unternehmen unterschiedliche überwiegend finanzielle Ansätze zur Verfügung: Bleibeprämien (Retainer Boni), nachvertragliche Wettbewerbsverbote, Ausschluss von Kündigungsmöglichkeiten, sonstige finanzielle Anreize wie gesellschaftsrechtliche Beteiligung von Mitarbeitern am Unternehmen, Optionsprogramme etc. Allerdings lassen sich diese Instrumente nur mittels einer Vereinbarung mit dem Mitarbeiter umsetzen. Möchte der Arbeitgeber derartige Instrumente flächendeckend einsetzen, sind die Mitbestimmungsrechte des Betriebsrats zu beachten.
Diese verschiedenen Ansätze haben in der jüngeren Vergangenheit erhebliche Wirkung zeigen können. Allerdings muss man auch im Auge behalten, dass gerade jüngere Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter (Generation Y und Z) bei weitem nicht mehr allein „geldgetrieben“ sind und derartige Angebote seitens der Arbeitgeber häufig ausschlagen, und zwar zugunsten der Freiheit, auch kurzfristig zu anderen Arbeitgebern wechseln zu können.
Umdenken bei Elternzeit
Arbeitgeber könnten auch beim Thema Elternzeit umdenken. Noch viel zu häufig werden Arbeitsverhältnisse mit Vätern und Müttern nach dem Ende der Elternzeit beendet, weil der Wiedereinstieg des Mitarbeiters - häufig in Teilzeit - operativ nicht darstellbar ist. Der hierdurch verursachte Abfluss von Know-how und Arbeitskraft kann sicher häufiger als bisher durch konsequentes Festhalten am Arbeitsverhältnis und organisatorisch passende Maßnahmen verhindert werden.
Das Argument, Mitarbeiter in Elternzeit würden durch die oft jahrelange Arbeitspause den Anschluss an die betriebliche Weiterentwicklung verlieren, traf in der Vergangenheit häufig zu. Der Wiedereinstieg war – ungeachtet der Rechtslage – faktisch sehr schwierig. Durch Maßnahmen wie regelmäßige Schulungen und Teilnahme der Mitarbeiter an betrieblichen Bildungsmaßnahmen während der Elternzeit könnte dieses faktische Problem verringert werden. Außerdem würden die Mitarbeiter in der Elternzeit dadurch den Kontakt zur Belegschaft und zur betrieblichen Wirklichkeit nicht verlieren.
Zur Umsetzung derartiger Maßnahmen sind individualvertragliche Ergänzungsvereinbarungen zum Arbeitsvertrag erforderlich.
Digitalisierung vorantreiben
Die Übernahme betrieblicher Aufgaben durch „Roboter“ schreitet in hoher Geschwindigkeit voran. Unternehmen können mit weniger Personal eine größere Menge betrieblicher Aufgaben bewältigen. Aber auch dieser Ansatz ist kein Selbstläufer, denn nur wenige und nur sehr einfache betriebliche Aufgaben lassen sich - bisher - automatisieren. Das durch Automatisierung freigesetzte Personal kann auch nicht unmittelbar mit höherwertigen Aufgaben betraut werden. Kostspielige Aus- und Fortbildung, Trainings und Schulungen sind erforderlich, um diese betriebliche Veränderung effektiv zu gestalten und umzusetzen. Auch hier sind bei der Planung und Umsetzung zwingende Mitbestimmungsrechte des Betriebsrats zu beachten.
Einsatz von Leiharbeit
Leiharbeit ist eine rechtlich und wirtschaftlich etablierte Möglichkeit, betriebliche Tätigkeiten mit nicht eigenem Personal zu erbringen. Beim Einsatz von Leiharbeitnehmern sind auch Mitbestimmungsrechte des Betriebsrats zu beachten. Allerdings eignet sich Leiharbeit nur zur Abdeckung eines vorübergehenden und weniger dauerhaften Mangels an eigenen Arbeitskräften. Außerdem ist bei branchen- oder tätigkeitsspezifischem Fachkräftemangel der Mangel mittlerweile so eklatant, dass nicht einmal mehr ausreichend Leiharbeitnehmer zur Verfügung stehen. Der Einsatz von Leiharbeitnehmern ist daher eher für unternehmensspezifischen Fachkräftemangel probat.
Gründung von Joint Ventures und Gemeinschaftsbetrieben
Das Zusammenführen betrieblicher Tätigkeiten mit denen anderer Unternehmen eignet sich durchaus, um einem Fachkräftemangel entgegenzuwirken. Die kann operativ durch Gründung von Gemeinschaftsbetrieben geschehen (mehrere rechtlich selbstständige Unternehmen führen einen gemeinsamen Betrieb) oder durch Gründung eines Gemeinschaftsunternehmens / Joint Venture (mehrere Unternehmen beteiligen sich an einem Unternehmen). In den Bereichen Forschung und Entwicklung, aber auch im Bereich der Produktion geschieht dies schon erfolgreich und seit längerem in vielen Industrien. Hier sind kartellrechtliche Themen zu beachten wie auch Fragestellungen gewerblicher Schutzrechte, aber auch in erheblichem Maße arbeitsrechtliche Herausforderungen. Betriebsverfassungsrechtliche, tarifrechtliche und betriebsübergangsrechtliche Fragestellungen sind bei derartigen Konstruktionen zu bewältigen. Und: Man muss erst einmal ein Unternehmen finden, mit dem auf operativer Ebene die Gründung eines Joint Venture oder Gemeinschaftsbetriebs sinnvoll ist. Auch zeitliche Aspekte spielen eine große Rolle. Denn die Gründung eines Gemeinschaftsbetriebs oder -unternehmens ist kein Projekt, das sich binnen weniger Monate umsetzen lässt.
Verlagerung betrieblicher Tätigkeiten ins Ausland
Auch wenn die weltpolitische Lage gerade andere Vorzeichen setzt, ist die Verlagerung betrieblicher Tätigkeiten ins Ausland immer noch eine gute Möglichkeit, dem zumindest örtlichen Fachkräftemangel entgegenzuwirken. Während in der Vergangenheit überwiegend betriebswirtschaftliche und logistische Aspekte die Verlagerung von Produktionsstätten ins Ausland motiviert haben, kommt nun der Aspekt des Fachkräftemangels hinzu. Betriebliche Tätigkeiten „wandern“ dorthin, wo es ausreichend Arbeitskräfte gibt. Eine besondere Motivation für derartige – drastische – betriebliche Maßnahmen liegt auch im Umstand begründet, dass der Zuzug gut ausgebildeter Fachkräfte aus dem insbesondere nicht europäischen Ausland nach Deutschland bisher noch erheblichen politischen, rechtlichen und auch gesellschaftlichen Hürden und Vorbehalten begegnet. Bei der Verlagerung betrieblicher Tätigkeiten ins Ausland sind insbesondere betriebsverfassungsrechtliche, kündigungsschutzrechtliche und tarifliche Fragestellungen relevant.
Fazit:
Zusammenfassend kann man festhalten, dass es durchaus wirkungsvolle Mittel gibt, dem anhaltenden und sich verschärfenden Fachkräftemangel als Unternehmen zu begegnen. Allerdings sind diese Mittel mit erheblichen finanziellen Investitionen und rechtlichen Herausforderungen verbunden. Und: Beseitigen lässt sich der Fachkräftemangel auf Dauer nur durch entschlossenes politisches Handeln, nicht nur in Deutschland, sondern auch darüber hinaus. Ohne den Zuzug ausgebildeter Fachkräfte aus dem Ausland ist der Fachkräftemangel auf Dauer nicht zu bewältigen.