In Deutschland gibt es so viele freie Stellen, wie noch nie. Der Fachkräftemangel ist zur wahrscheinlich größten Bremse der Wirtschaft geworden. Anlass genug, um auch aus arbeitsrechtlicher Sicht einen Blick auf mögliche Lösungen zu werfen. In unserem zweiteiligen Blog erörtern wir kreative, mitunter mutige Lösungen, wie Unternehmen einerseits den Verlust von Fachkräften vermeiden und andererseits neue Fachkräfte gewinnen können.
Doch mit welchen arbeitsrechtlichen Mitteln lässt sich die Fluktuation verringern? Die Antworten auf diese Frage haben sich in letzter Zeit gewandelt. Es ist noch nicht lange her, dass Arbeitsrechtler als erstes vorgeschlagen haben, an die Kündigung der Beschäftigten möglichst gravierende negative Folgen zu knüpfen, um ihren Verbleib zu sichern. Doch es genügt nicht mehr, wichtige Mitarbeiter mit langen Kündigungsfristen, temporärem Kündigungsausschluss, Long Term Incentives, Stichtagsklauseln oder anderen langfristigen finanziellen Anreizen an das Unternehmen zu binden. Diese Mittel bekämpfen nur das Symptom von abwandernden Fachkräften. Sie lassen jedoch die Ursache unberücksichtigt.
Im Jahr 2022 waren 37 % der Berufstätigen in der DACH-Region laut einer repräsentativen Umfrage des Meinungsinstituts forsa offen für einen Jobwechsel. Dabei spielen neben den ›klassischen‹ Ursachen von Gehalt und Karriereperspektiven immer mehr weiche Faktoren eine Rolle. Ein gutes Führungsverhalten, flexible Arbeitszeiten, persönliche Sinnerfüllung sowie die Vereinbarkeit von Privat- und Arbeitsleben werden für die Beschäftigten immer wichtiger. Gerade die heutzutage sehr begehrte Flexibilität und Work Life Balance, die so häufig zum Arbeitgeberwechsel führt, lässt sich arbeitsvertraglich mit etwas Kreativität gut abbilden. So packen Arbeitgeber das Problem der abwandernden Fachkräfte an der Wurzel, statt nur die Symptome zu bekämpfen und Zeit und Geld in Recruiting und Onboarding immer neuer Beschäftigter zu investieren.
Solche kreativen Mittel können beispielsweise sein:
1. 4-Tage-Woche
Laut einer Studie von 4 Day Week Global aus 2022 wollten 97% der Beteiligten nach einer testweisen Einführung der 4-Tage-Woche an dieser festhalten. Dabei erhoffen Beschäftigte sich von einem zusätzlichen freien Tag mehr Zeit für Familie und Freizeit sowie eine Reduktion gesundheitlicher Probleme. Arbeitgeber können weniger Krankentage, eine gesteigerte Attraktivität bei Bewerbern sowie eine Erhöhung von Effektivität und Effizienz bei der Arbeitsleistung erreichen.
Ihre Einführung erfordert allerdings eine umfassende Vorbereitung und Planung sowie die Beteiligung eines etwaigen Betriebsrats. Zudem unterliegt sie dem engen Korsett des Arbeitszeitgesetzes. Insbesondere die tägliche Höchstarbeitszeit von zehn Stunden beschränkt bei einer Wochenarbeitszeit von 40 Stunden die Flexibilität für Überstunden oder Gleitzeit.
2. Stay in Touch-Programme
Während längerer Auszeiten, z.B. während der Elternzeit oder eines Sabbaticals, verschiebt sich der Fokus der Beschäftigten. Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter verlieren u.U. die Bindung an den Arbeitgeber und fühlen sich nicht mehr als Teil des Teams. Das erhöht die Bereitschaft, sich beruflich zu verändern.
Arbeitgeber können die Beschäftigten während solcher Auszeiten nicht zwingen, mit Kollegen in Kontakt zu bleiben. Sie können jedoch Angebote unterbreiten. Einladungen zu betrieblichen Veranstaltungen (z.B. Weihnachtsfeier, Sommerfest), Informationen zu wichtigen betrieblichen oder personellen Entwicklungen (z.B. neue Produkte, Reorganisation, neue Kollegen), die Benennung konkreter Ansprechpartner während der Auszeit sowie rechtszeitiges ›Re-Onboarding‹ können das Zusammengehörigkeitsgefühl stärken und die Abwanderung von Fachkräften vermeiden.
3. ›Workation‹
Ein Risiko von Remote Work und flexiblen Arbeitszeiten besteht darin, dass die Zusammengehörigkeit des ›Teams‹ leidet. Kommunikation und gemeinsame Veranstaltungen werden immer wichtiger. Hierzu bietet sich gerade in kreativen Berufszweigen eine ›Workation‹ an. Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter können als Team gemeinsam in einer neuen Umgebung arbeiten und miteinander Zeit verbringen. Auch hier gilt es im Voraus sorgfältig zu planen und sozialversicherungs- und steuerrechtliche Risiken sowie das Arbeitszeitgesetz im Blick zu behalten.
4. ›Your Choice‹
Es ist wichtig anzuerkennen, dass die Interessen der Beschäftigten unterschiedlich sind. Während ein Mitarbeiter einen höheren Wert auf eine Work-Life-Balance legt, kann eine Kollegin ein höheres Gehalt bevorzugen und bereit sein, hierfür auch eine höhere Stundenzahl zu arbeiten. Um dem Interesse aller Beschäftigten gerecht zu werden, können Arbeitgeber schlicht sagen: ›Your Choice‹
In vielen Bereichen bietet es sich an, den Beschäftigten die Wahl zu lassen: Gehaltserhöhung oder zusätzliche Urlaubstage? Freizeitausgleich oder Auszahlung von Überstunden? Gewährung eines Dienstwagens, einer Bahncard 100 oder Kapitalisierung in einer Car Allowance? Dabei ist zu beachten, dass Entlohnungsgrundsätze, Arbeitszeiten und Urlaubsgrundsätze dem Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats unterfallen. Auch gesetzliche Regelungen setzen Grenzen, wenn es um die Ausweitung der Arbeitszeit oder die Umwandlung von Urlaub in Entgelt geht. Die Unverzichtbarkeit tarifvertraglich gewährter Ansprüche sollten Arbeitgeber ebenfalls im Hinterkopf behalten.
Darüber hinaus sind weitere kreative Möglichkeiten wie Urlaubsspenden der Beschäftigten für Kollegen in privaten Notsituationen, flexiblere Elternteilzeitprogramme oder stufenweise Rückkehrmöglichkeiten, steuer- und sozialversicherungsrechtlich privilegierte Zuschüsse zu Kinderbetreuungskosten oder die Erlaubnis zur Verwendung von einer bestimmten Anzahl an Arbeitsstunden für soziales Engagement denkbar.
Fazit
All diese aufgezeigten Mittel erlauben es den Mitarbeitern, sich auch privat zu verwirklichen bzw. private Härten abzufedern, ohne dafür das Arbeitsverhältnis aufgeben zu müssen. Viele dieser Maßnahmen lassen sich über einzelvertragliche Zusatzvereinbarungen, Gesamtzusagen an die Belegschaft oder mittels Betriebsvereinbarung regeln. Um flexibel auf künftige, ggf. langfristige Änderungen reagieren zu können, sollte hier sorgfältig vorbereitet und kommuniziert werden, vor allem, wenn bestimmte Maßnahmen zunächst nur getestet werden sollen.
Übrigens: Der Gesetzgeber erlegt Unternehmen zunehmend Berichtspflichten über z.B. Gleichstellungsmaßnahmen auf. Gerade diese arbeitsrechtlichen Instrumente können dann auch positiv in den Berichten erwähnt werden, womit sich Unternehmen bei Bewerbern deutlich attraktiver positionieren können.
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