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BMAS: Überraschende Regelungen im Referentenentwurf zur Arbeitszeiterfassung

van_portraits_840x840px_02_becker.png Jan-Ove Becker

April 2023

Lesedauer: Min

Mit dem Beschluss zur Arbeitszeiterfassung vom 13. September 2022 (Az. 1 ABR 22/21) hat das Bundesarbeitsgericht (BAG) nicht nur für viel Aufmerksamkeit bei Arbeitgebern und Beschäftigten in Deutschland gesorgt, sondern auch dem Gesetzgeber die Hausaufgabe mitgegeben, die Pflicht zur Arbeitszeiterfassung gesetzlich auszugestalten. Bereits kurz nach Veröffentlichung der Beschlussgründe hatte Bundesarbeitsminister Hubertus Heil verkündet, dass ein entsprechender Entwurf noch im ersten Quartal 2023 vorgelegt werde. Obwohl mit Spannung erwartet, verstrich der 31. März 2023 ohne ein Zeichen aus Berlin. Am 18. April 2023 berichtete dann zuerst die Süddeutsche Zeitung über einen ihr vorliegenden Referentenentwurf. Auch wir haben diesen für Sie geprüft und möchten Ihnen in diesem Blogbeitrag einen Überblick über die möglichen gesetzlichen Änderungen geben.

 

Zur Erinnerung: Das hat das BAG im September 2022 entschieden

Am 13. September 2022 (Az. 1 ABR 22/21) hat sich das BAG zu der Frage geäußert, ob Arbeitgeber ein System zur Erfassung der Arbeitszeit bereitstellen und damit die Arbeitszeit der Beschäftigten umfassend erfassen müssen. Aufhänger der Entscheidung war das Verlangen eines Betriebsrates, das Bestehen eines Initiativrechts auf Einführung einer elektronischen Zeiterfassung bestätigt zu erhalten (s. unser Blogbeitrag). Das BAG hat zwar ein Initiativrecht des Betriebsrats verneint – jedoch unter Bestätigung einer umfassenden gesetzlichen Pflicht zur Arbeitszeiterfassung. Der Beschluss wurde von vielen deutschen Arbeitgebern als „Gamechanger“ wahrgenommen – zuvorderst von denjenigen, die bisher auf Vertrauensarbeitszeit gesetzt und insoweit bewusst auf die Kontrolle ihrer Arbeitnehmer verzichtet haben.

Das BAG stellte unter anderem klar, dass die Arbeitszeiterfassung auch auf die Arbeitnehmer delegiert werden kann und die Ausnahmen der Arbeitszeitrichtlinie Anwendung finden (weshalb eine Arbeitszeiterfassung bei leitenden Angestellten im Sinne des Betriebsverfassungsrechts nicht erforderlich ist). Insbesondere hinsichtlich der Form hat das Bundesarbeitsgericht jedoch bewusst Spielraum offengelassen: Eine elektronische Arbeitszeiterfassung solle nicht zwingend erforderlich sein – jedenfalls solange der Gesetzgeber keine anderweitigen Vorgaben macht.

Der Referentenentwurf

Der Referentenentwurf sieht Änderungen sowohl des Arbeitszeitgesetzes als auch des Jugendarbeitsschutzgesetzes vor. Dass die Änderungen nicht im Arbeitsschutzgesetz alleine erfolgen (aus dem das BAG die Pflicht zur Arbeitszeiterfassung hergeleitet hat) ist entscheidend, denn anders als das Arbeitsschutzgesetz, sieht das Arbeitszeitgesetz die Möglichkeit vor, unmittelbar Bußgelder bei Verstößen zu verhängen anstatt nur bei Verstößen gegen behördliche Anordnungen.

Der Referentenentwurf stellt klar, dass die Arbeitszeiterfassung auf Beschäftigte delegiert werden kann.

Zudem ergeben sich folgende (neue) Pflichten für Arbeitgeber:

  • Die Arbeitszeit ist am Tag der Arbeitsleistung aufzuzeichnen – Abweichungen von bis zu sieben Tagen sind nur durch Tarifvertrag möglich.

  • Möglich ist auch eine kollektive Arbeitszeiterfassung durch die Nutzung und Auswertung elektronischer Schichtpläne. Dies gilt unter der Voraussetzung, dass sich aus dem Schichtplan für die einzelne Arbeitnehmerin und den einzelnen Arbeitnehmer Beginn, Ende und Dauer der täglichen Arbeitszeit ableiten lassen und Abweichungen von den im Schichtplan festgelegten Arbeitszeiten, z. B. Urlaub, Fehlzeiten und zusätzliche Arbeitszeiten, gesondert elektronisch erfasst werden.

  • Die Arbeitszeiterfassung hat elektronisch zu erfolgen, neben Zeiterfassungsgeräten werden auch Apps und Tabellenkalkulationsprogramme als Beispiele genannt – Abweichungen sind auch hier nur durch Tarifvertrag möglich.

  • Arbeitgeber sind für die ordnungsgemäße Erfassung verantwortlich – Arbeitszeiterfassung durch Beschäftigte muss zumindest stichprobenartig überprüft werden.

  • Soweit Arbeitnehmer aufgrund eines Tarifvertrages einer Verlängerung der Arbeitszeit zugestimmt haben, ist darüber ein Verzeichnis zu führen.

  • Die Arbeitszeitnachweise sind mindestens zwei Jahre aufzubewahren.

  • Die für die Kontrolle der Einhaltung der Arbeitszeitvorschriften erforderlichen Aufzeichnungen sind in deutscher Sprache bereitzuhalten.

  • Auf Verlangen der Aufsichtsbehörde sind die Unterlagen auch am Ort der Beschäftigung bereitzuhalten, z.B. bei Bauleistungen auf der Baustelle.

  • Der Arbeitgeber hat den Arbeitnehmer auf Verlangen über die aufgezeichnete Arbeitszeit zu informieren und eine Kopie der Aufzeichnungen zur Verfügung zu stellen.

Der Referentenentwurf legt die elektronische Erfassung fest und räumt hier nur Spielräume für Abweichungen nur den Tarifvertragsparteien ein. Daneben ist zumindest eine zeitlich stufenweise Einführung nach Arbeitgebergröße im Anschluss an das Inkrafttreten des Gesetzes vorgesehen. Arbeitgeber mit weniger als 250 Arbeitnehmern haben danach zwei, Arbeitgeber mit weniger als 50 Arbeitnehmer fünf Jahre Zeit für die Einführung. Alles anderen haben nach Inkrafttreten ein Jahr Zeit. Kleinbetriebe mit bis zu zehn Arbeitnehmern und Privathaushalte dürfen die Aufzeichnung dauerhaft nichtelektronisch führen.

Tarifvertragsparteien können zudem bestimmte Arbeitnehmer von der Pflicht zur Arbeitszeiterfassung ausnehmen. Dies ist möglich bei solchen, bei denen die gesamte Arbeitszeit wegen der besonderen Merkmale der ausgeübten Tätigkeit nicht gemessen oder nicht im Voraus festgelegt wird oder von den Arbeitnehmern selbst festgelegt werden kann. Als Beispiele nennt die Entwurfsbegründung Führungskräfte, herausgehobene Experten und Wissenschaftler.

Was wird aus der Vertrauensarbeitszeit?

Vertrauensarbeitszeit soll nach dem Referentenentwurf weiter ausdrücklich möglich bleiben. Der Arbeitgeber soll weiterhin darauf verzichten dürfen, die vertraglich vereinbarte Arbeitszeit zu kontrollieren – er muss aber trotzdem durch geeignete Maßnahmen sicherstellen, dass ihm Verstöße gegen die gesetzlichen Bestimmungen zu Dauer und Lage der Arbeits- und Ruhezeiten bekannt werde. Dies führt faktisch dazu, dass Arbeitnehmer in Vertrauensarbeitszeit trotzdem ihre Arbeitszeit umfassend erfassen müssen. Arbeitgeber können sich aber darauf „beschränken“, z.B. auf Meldungen des Arbeitszeiterfassungssystems bei Überschreitungen des Arbeitszeitgesetzes zu reagieren. Die Aufbewahrungspflichten hinsichtlich der erfassten Arbeitszeiten gelten bei Vertrauensarbeitszeit ebenso.

Fazit

Wichtig ist, dass es sich aktuell nur um einen Referentenentwurf handelt. Ein solcher wird in der Regel inhaltlich mehrfach überarbeitet. Über jeden Entwurf stimmt das Kabinett, also alle an der Regierung beteiligten Minister und der Bundeskanzler, ab. Erst nach Beschluss des Kabinetts handelt es sich um einen förmlichen Regierungsentwurf, über den im Parlament abgestimmt werden kann. Es ist daher davon auszugehen, dass die oben dargestellten Regelungen noch nicht „das letzte Wort“ sind.

Angesichts der aber bereits zu beobachtenden Praxis von Arbeitsschutzbehörden, betriebliche Kontrollen durchzuführen und auch bereits die Einführung einer elektronischen Arbeitszeiterfassung anzuordnen, ist Arbeitgebern nur zu empfehlen, sich umgehend mit einer entsprechenden Arbeitszeiterfassung auseinanderzusetzen und die Einführung in den Betrieben vorzubereiten.

Zudem sollte auch bedacht werden, dass durch Arbeitszeiterfassung Verstöße gegen das Arbeitszeitgesetz und Überstunden sichtbarer werden. Den damit verbundenen Risiken sollten durch flankierende Compliance Maßnahmen wie die Delegation von Arbeitgeberpflichten, Schulungen und festgelegten Prozessen bei Aufdeckung von Arbeitszeitverstößen begegnet werden. Wir unterstützen Sie hierbei gerne.