Zwischen Kontrolle und Vertrauen: Chancen und Risiken der Flexibilisierung von Urlaub
Wir bei vangard | Littler erwarten, dass der Arbeitsalltag und das Arbeitsverhältnis auch dann, wenn die unmittelbaren Folgen der Pandemie erst einmal überwunden sind, nicht wieder in den „Normalzustand“ vor der Pandemie zurückversetzt werden. Vielmehr wird sich die Arbeitswelt nachhaltig verändert haben und Arbeitgeber nicht mehr umhinkommen, dem Bedürfnis nach „mehr Flexibilität im Arbeitsleben“ Rechnung zu tragen. Eine Form der Flexibilisierung könnte der Vertrauensurlaub sein.
Anstatt den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern wie sonst üblich durch den Arbeitsvertrag eine bestimmte Anzahl von Urlaubstagen zu gewähren, wird es hier diesen selbst überlassen, wann und wie viel Urlaub sie innerhalb eines Jahres nehmen. Wenn Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter darüber selbst bestimmen können, ist dies für Arbeitgeber ein Balanceakt zwischen Vertrauen und Kontrolle. Das birgt Chancen und Risiken. Welche Gestaltungsmöglichkeiten gibt es hier, auch das Thema Urlaub flexibler und attraktiver zu gestalten – ganz im Sinne von New Work?
Rechtliche „Must-haves“ für den Arbeitsvertrag
Bevor jedoch über eine Flexibilisierung des Urlaubs nachgedacht werden kann, ist zunächst wichtig, sich vor Augen zu führen, welche gesetzlichen Mindestansprüche dabei in jedem Fall unangetastet bleiben müssen: Der gesetzliche Mindesturlaubsanspruch von 24 Tagen bei einer 6-Tage-Woche bzw. 20 Tagen bei einer 5-Tage-Woche darf nicht unterschritten werden. Um dies zu gewährleisten, empfiehlt sich die Aufnahme einer entsprechenden Mindestzahl der zu nehmenden Urlaubstage in den Arbeitsvertrag. Dort sollte auch bestimmt werden, dass eine vorrangige Anrechnung des genommenen Urlaubs auf den gesetzlichen Urlaubsanspruch stattfindet. Schließlich sollten Arbeitgeber auch nicht darauf verzichten, Urlaubszeiten lückenlos zu dokumentieren, um z.B. im Hinblick auf Arbeitsunfälle die versicherungsrechtliche Lage klarzustellen.
Chancen und Risiken des Vertrauensurlaubs
Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter erhalten durch eine solche Gestaltung des Urlaubes einen erheblichen Vertrauensvorschuss. Aber was sind die konkreten Chancen und Risiken bei der Einführung von Vertrauensurlaub?
Die Chancen kann man erst beurteilen, wenn man sich den Zweck des Urlaubs vor Augen führt, das ist die Erholung sowie der Schutz der Gesundheit des Arbeitnehmers/der Arbeitnehmerin, um die Leistungsfähigkeit wiederherzustellen.
1) Erholte Mitarbeiter sind zufriedene Mitarbeiter, welche statistisch weniger krankgeschrieben sind und das Unternehmen nicht so schnell verlassen.
2) Weiterhin kann der Vertrauensvorschuss zu einer Stärkung des Verhältnisses und zu einer höheren Identifikation mit dem Unternehmen führen und sich positiv auf die Arbeitsmotivation auswirken.
3) Eine bei der Belegschaft beliebte Praxis spricht sich herum, wodurch positive Publicity für das Unternehmen entstehen kann. Dies kann sich wiederum positiv auf den Andrang von Bewerbern auswirken.
4) Der Arbeitgeber kann entlastet werden, indem weniger Aufwand auf Planung und Genehmigung des Urlaubs verwendet wird. Dabei spielt die Kooperation der Arbeitsgruppen eine große Rolle. Sie müssen sich organisieren, wer wann Urlaub nimmt, damit das Team arbeitsfähig bleibt. Urlaubstage können daher aufgrund der eigenen Verantwortung des Personals grundsätzlich ohne weitere Genehmigung durch Vorgesetzte genommen werden.
Auf Seiten der Risiken kann
1) die Auseinandersetzung mit dem Betriebsrat aufgrund eines Mitbestimmungsrechtes notwendig werden.
2) Wie so oft bei der Flexibilisierung der Arbeitsabläufe schwingt zusätzlich die Möglichkeit des Missbrauches mit, da das entgegengebrachte Vertrauen ausgenutzt werden kann.
3) Tatsächlich besteht auch die Gefahr, dass Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer weniger Urlaub nehmen als vorher. Diese können das Gefühl haben, mehr arbeiten zu müssen, um zu verhindern, dass der Eindruck entsteht, sie würden nicht richtig arbeiten. Das Verhalten dahingehend ist jedoch abhängig von dem individuellen Charakter, sodass vor diesem Hintergrund die persönliche Lage im Unternehmen ausgewertet werden sollte, wie hoch das Risiko dafür ist, dass weniger Urlaub genommen wird.
4) Außerdem könnten Bedenken entstehen, dass die genommenen Urlaubstage z.B. für den Arbeitgeber eine Grundlage für Bonusvergütung seien und damit weniger Urlaubstage nehmen, um die berufliche Laufbahn nicht in Gefahr zu bringen.
5) Darüber hinaus kann die Erstellung einer Richtlinie zum Vertrauensurlaub ratsam sein, um einen geregelten Arbeitsablauf zu gewährleisten. Dies kann allerdings Zeit und Aufwand bedeuten.
Balance zwischen Vertrauen und Kontrolle
So attraktiv die dargestellten Chancen der Einführung von Vertrauensurlaub auch sind, fürchten Arbeitgeber auch die missbräuchliche Ausnutzung dieses Instituts. Um dem vorzubeugen, gibt es eine Vielzahl von Gestaltungsmöglichkeiten. Dies kann insbesondere dadurch geschehen, dass den mit dem Vertrauensurlaub verbundenen Freiheiten Grenzen entgegengesetzt werden.
In zeitlicher Hinsicht kann dies erfolgen, indem neben der Mindestzahl auch eine Höchstzahl an Urlaubstagen pro Jahr festgelegt wird. Ebenfalls kann auch die Zahl der am Stück genommenen Urlaubstage begrenzt werden, um einen monatelangen Ausfall auszuschließen. Eine solche Regelung sollte dann durch eine Vorgabe zu Mindestabständen zwischen den einzelnen Urlaubsblöcken flankiert werden. Auf diese Weise kann ein ständiger Wechsel zwischen An- und Abwesenheitszeiten vermieden werden. Dies ist insbesondere dann wichtig, wenn die Tätigkeit einer gewissen Kontinuität bedarf – etwa in der Betreuung von Kunden oder innerhalb von Projekten.
Auch in verfahrenstechnischer Hinsicht können Grenzen gesetzt werden: Wenn theoretisch alle Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter jederzeit Urlaub nehmen können, dann besteht auch die Gefahr, dass dies gleichzeitig erfolgt – insbesondere um Feiertage herum oder an Brückentagen. Um plötzlicher Unterbesetzung vorzubeugen, kann hier eine gewisse Ankündigungsfrist festgelegt werden. Ist für die Ankündigung zudem die Textform (z.B. E-Mail) vorgesehen, ist es auch leichter nachzuvollziehen, wer wann in den Urlaub geht. Um Missgunst innerhalb eines Teams zu verhindern, empfiehlt sich zudem eine Pflicht, sich im Kollegium abzusprechen und entsprechende Übergabe von Aufgaben oder aktuellen Projekten durchzuführen.
Was darüber hinaus zu bedenken ist
Im Zusammenhang mit der Gewährung von Vertrauensurlaub ergeben sich darüber hinaus weiter Implikationen, die es zu bedenken gilt. Dies betrifft etwa Entgeltfortzahlung bei Langzeiterkrankungen. Können Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter beliebig lange Urlaub nehmen, können sie auch den Entgeltfortzahlungszeitraum faktisch unbegrenzt verlängern. Bei gekündigten Arbeitsverhältnissen droht darüber hinaus der Wegfall der mit den Kündigungsfristen bezweckten Planungssicherheit für Arbeitgeber. Hinsichtlich der Abgeltung von Urlaubsansprüchen nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses stellt sich zudem die Frage auf wie viele Tage sich dieser Anspruch bezieht. In Unternehmen mit Betriebsrat ist zudem das entsprechende Mitbestimmungsrecht zu beachten.
Welche Regelungen für das konkrete Unternehmen richtig sind, ist ganz individuell. Im Hinblick auf die Vielzahl möglicher Folgeprobleme empfiehlt sich daher eine passgenaue Beratung vor der Einführung.