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Neuer Stolperstein bei Massenentlassungen!

van_portraits_840x840px_03_zaumseil.png Dr. Frank Zaumseil

März 2019

Lesedauer: Min

Das Urteil des LAG Baden-Württemberg vom 21. August 2018

Arbeitgeber haben vor Ausspruch einer Kündigung zwingend eine Massenentlassungsanzeige bei der zuständigen Agentur für Arbeit zu erstatten, wenn die Anzahl der Kündigungen die in § 17 Abs. 1 KSchG geregelten Schwellenwerte erreicht. Der ursprüngliche Regelungszweck der Massenentlassungsanzeige lag in der Verfolgung arbeitsmarktpolitischer Ziele: Der Agentur für Arbeit sollte durch die Anzeige die Möglichkeit gegeben werden, frühzeitig Maßnahmen zur Vermeidung oder Milderung von Belastungen des Arbeitsmarktes einzuleiten. Demgegenüber stand zuletzt der Individualschutz der Arbeitnehmer im Vordergrund: Unter Berücksichtigung der sog. Massenentlassungsrichtlinie (RL 98/59/EG) führt ein Verstoß gegen die Anzeigepflichten nunmehr zur Unwirksamkeit einer Kündigung.

Zeitpunkt der Massenentlassungsanzeige
Wann aber ist die Massenentlassungsanzeige zu erstatten? Unter Berücksichtigung des Wortlauts und des Gesetzzwecks war hierfür nach der früheren Rechtsprechung des BAG nicht der Ausspruch der Kündigung, sondern die beabsichtigte tatsächliche Beendigung des Arbeitsverhältnisses der maßgebliche Zeitpunkt für die Massenentlassungsanzeige. Begründung: § 17 KSchG spricht nicht von „Kündigungen“, sondern von „Entlassungen“. Arbeitgeber erstatteten daher die Anzeige bei der Agentur für Arbeit grundsätzlich erst nach dem Ausspruch der Kündigungen. Diese Rechtsprechung gab das BAG jedoch in Folge der „Junk“-Entscheidung des EuGH (Urteil vom 27.01.2005 – C-188/03) auf. Aufgrund einer richtlinienkonformen Auslegung sei unter „Entlassung“ der Ausspruch der Kündigung zu verstehen. Es entsprach daher der einhelligen Meinung, dass eine Massenentlassung vor dem Kündigungssauspruch zu erfolgen habe.

Und das LAG? – Massenentlassungsanzeige vor Unterzeichnung des Kündigungsschreibens!
Demgegenüber stellte das LAG Baden-Württemberg in seinem Urteil vom 21.08.2018 (Az.: 12 Sa 17/18) nicht auf den Ausspruch der Kündigung, sondern die Unterzeichnung des Kündigungsschreibens ab! Nach Auffassung des LAG sei die Kündigungserklärung erfolgt, wenn das Kündigungsschreiben unterzeichnet sei. Auf den Zugang der Kündigung beim Arbeitnehmer komme es nicht an. Zur Begründung stützte sich das LAG auf den Wortlaut des § 17 Abs. 3 KSchG, wonach die Massenentlassungsanzeige Angaben zu den „geplanten Entlassungen“ zu enthalten habe. Die Massenentlassungsanzeige sei daher zu einem Zeitpunkt zu erstellen, in dem die Kündigungen geplant, aber noch nicht entschieden seien. Die Anzeige müsse daher die Agentur für Arbeit erreichen, bevor der Arbeitgeber die Kündigungsentscheidung getroffen und das Kündigungsschreiben unterzeichnet habe. Denn durch die Unterzeichnung des Kündigungsschreibens manifestiere sich die zugrundeliegende – bereits getroffene – Kündigungsentscheidung des Arbeitgebers. Da in dem zugrundeliegenden Rechtsstreit nicht festgestellt werden konnte, ob der Arbeitgeber das Kündigungsschreiben erst nach Eingang der Massenentlassungsanzeige unterschrieben hatte, erachtete das LAG die Kündigung gemäß § 134 BGB i.V.m. § 17 Abs. 1 KSchG für unwirksam.

Bewertung
Die Entscheidung des LAG ist – gelinde gesagt – nicht überzeugend. Ihr kann weder aus rechtlichen noch aus tatsächlichen Gründen zugestimmt werden. Nicht nachvollziehbar ist bereits die Annahme des LAG, dass der Kündigungsentschluss erst nach Stellen der Massenentlassungsanzeige gefasst werden dürfe. Für eine derartige Annahme besteht kein Anhaltspunkt im Gesetz. Die Annahme kann insbesondere nicht mit der Informationspflicht über die „geplanten Entlassungen“ nach § 17 Abs. 3 KSchG begründet werden. Die Annahme ist zudem lebensfremd, da ein Arbeitgeber seinen Kündigungsentschluss bereits vorher – spätestens mit Abschluss eines ggf. erforderlichen Interessenausgleichs – gefasst hat. Gegen die Annahme des LAG spricht auch ein Vergleich mit § 102 Abs. 1 S. 3 BetrVG. Danach ist eine ohne Anhörung des Betriebsrats ausgesprochene Kündigung unwirksam. Es entspricht der ständigen Rechtsprechung des BAG, dass ein bereits vor Abschluss des Anhörungsverfahrens endgültig gefasster Kündigungsentschluss des Arbeitgebers unschädlich ist. Maßgebend ist allein, dass der Arbeitgeber seinen Kündigungswillen noch nicht verwirklicht hat, bevor das Anhörungsverfahren abgeschlossen ist. Hierfür ist nach der Rechtsprechung des BAG entscheidend, ob das Kündigungsschreiben noch im Machtbereich des Arbeitgebers ist. Demnach komme es auf den Zeitpunkt der Abgabe der Kündigungserklärung, nicht aber den Zeitpunkt ihres Zugangs an.
Zudem muss dem LAG eine gewisse Realitätsferne attestiert werden. Gerade bei größeren Restrukturierungen wird meist unter enormen Zeitdruck gearbeitet. Die Massenentlassungen können häufig erst am Monatsende gestellt werden. Den Arbeitgebern muss daher die vorherige Unterzeichnung der Kündigungsschreiben als bloße Vorbereitungshandlung zugebilligt werden.

Ausblick
Das LAG hat – und das ist das erfreuliche an dem Urteil – die Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung zugelassen. Es bleibt daher zu hoffen, dass das BAG in dem bereits anhängigen Revisionsverfahren die Entscheidung des LAG aufhebt und klarstellt, dass eine vorherige Unterzeichnung der Kündigungsschreiben unschädlich ist.
Bis zur ausstehenden Entscheidung des BAG verbleiben jedoch trotz der nicht überzeugenden Ausführungen des LAG Restrisiken. Sofern möglich, sollten aus Gründen der Rechtssicherheit Kündigungsschreiben nachweisbar erst nach Eingang der Massenentlassungsanzeige bei der Agentur für Arbeit unterschrieben und datiert werden.