Zwei neue LAG-Entscheidungen, die bei einer Massenentlassungsanzeige beachtet werden sollten
Die Erstellung einer korrekten Massenentlassungsanzeige zur Einreichung bei der Bundesagentur für Arbeit ist für Unternehmen oftmals mit einigem Aufwand verbunden. Dieser Aufwand lohnt sich für den Arbeitgeber jedoch vor dem Hintergrund, dass eine fehlende oder fehlerhafte Massenentlassungsanzeige dazu führt, dass sämtliche von der Anzeigepflicht umfassten Kündigungen unwirksam sind.
Abhängig von der Betriebsgröße kann die Pflicht zur Massenentlassungsanzeige dabei auch schon bei kleineren Kündigungswellen relevant werden und sollte deshalb bei Restrukturierungsprojekten stets im Hinterkopf behalten werden. So löst beispielsweise bei Unternehmen mit in der Regel mehr als 20 und weniger als 60 Arbeitnehmern schon eine Entlassung von mehr als 5 Arbeitnehmern die Anzeigepflicht aus.
Zwei neue LAG Entscheidungen fachen nun die Diskussion um den Umfang einer korrekten Massenentlassungsanzeige neu an. Die Folgen dieser Entscheidungen sollten von Unternehmen, jedenfalls bis zu einer Klärung durch das BAG bzw. den EuGH, bei künftigen personellen Abbaumaßnahmen unbedingt beachtet werden.
Soll-Angaben werden zu Muss-Angaben
Welche Angaben eine korrekte Massenentlassungsanzeige gegenüber der Agentur für Arbeit zu enthalten hat, ergibt sich aus § 17 Abs. 3 S. 4 und 5 KSchG. Dabei unterscheidet das Gesetz ausweislich des eindeutigen Wortlauts zwischen Muss- und Soll-Angaben.
Zu den Muss-Angaben iSd. § 17 Abs. 3 S. 4 KSchG zählen der Name des Arbeitgebers, der Sitz und die Art des Betriebes sowie die Gründe für die geplanten Entlassungen. Weiter gehören hierzu die Zahl und die Berufsgruppen der zu entlassenden und der in der Regel beschäftigten Arbeitnehmer, der Zeitraum, in dem die Entlassungen vorgenommen werden sollen und die vorgesehenen Kriterien der Sozialauswahl.
Die Soll-Angaben iSd. § 17 Abs. 3 S. 5 KSchG beinhalten hingegen Angaben über Geschlecht, Alter, Beruf und Staatsangehörigkeit der zu entlassenden Arbeitnehmer. Diese Soll-Angaben wurden allerdings in jahrelanger Praxis stets als freiwillig behandelt. Ihr Fehlen führte damit nicht zur Unwirksamkeit der Anzeige und auch nicht zur Unwirksamkeit der von der Anzeige betroffenen Kündigungen.
Hiervon gingen auch die bis dato von den Arbeitsagenturen bereitgestellten Merk- und Formblätter aus.
Das LAG Hessen stellt diese Praxis nun jedoch mit einem neuen und viel beachteten Urteil auf den Kopf und erklärte kurzerhand auch die Soll-Angaben zum erforderlichen Bestandteil einer ordnungsgemäßen Massenentlassungsanzeige (Urt.v. 25.06.2021, Az. 14 Sa 1225/20).
Dabei stützt das LAG Hessen seine Entscheidung auf die der deutschen Regelung des § 17 KSchG zugrunde liegende europäische Massenentlassungsrichtlinie, die eine Mitteilung aller zweckdienlicher Angaben verlange. Angaben, die zwar zweckdienlich seien, aber gleichwohl weggelassen werden könnten, sehe die Richtlinie nicht vor. Vielmehr müsse der Arbeitgeber der Arbeitsagentur alle Informationen mitteilen, über die er verfügt oder die er sich jedenfalls beschaffen kann.
Das LAG bedient sich dabei in seiner Argumentation eines „Tricks“ der in der neueren zivilrechtlichen Rechtsprechung immer weiter verbreitet zu sein scheint. Die europarechtskonforme Auslegung, die immer dann erforderlich ist, wenn deutsche Regelungen auf einer europäischen Richtlinie beruhen, wird so weit ausgedehnt, dass selbst Normen, deren Wortlaut im klaren Widerspruch zur Richtlinie steht, an die Richtlinie angeglichen werden. Dahinter steht die Prämisse, dass sich der deutsche Gesetzgeber aufgrund des Anwendungsvorrangs des Europarechts bei der Umsetzung von Richtlinien stets europarechtskonform verhält und sich deshalb nicht in Widerspruch zur Richtlinie habe setzen wollen. Gemeint sei also immer das, was nach der Richtlinie gelte. Dies führt jedoch dazu, dass bei der immer größer werdenden Zahl an europarechtlich determinierten Normen der Wortlaut, als Ausgangspunkt jeden Normverständnisses, immer weiter an Bedeutung verliert und stets von neuen Einzelfallentscheidungen überlagert wird, deren Kenntnis für eine rechtssichere Beratung unabdingbar wird.
Für Unternehmen bedeutet die Entscheidung hingegen jedenfalls vorläufig, dass im Massenentlassungsanzeigeverfahren stets auch die Soll-Angaben vollständig mitgeteilt werden sollten, um nicht die Unvollständigkeit der Anzeige zu riskieren.
Nicht verlassen sollte man sich im Anzeigeverfahren hingegen auf die Angaben der Arbeitsagentur. Selbst eine ausdrückliche Bestätigung der Agentur, dass die Angaben vollständig waren, kann die unvollständige Anzeige in einem späteren Prozess nicht heilen. Auch dies hat das LAG Hessen in seinem Urteil nochmals ausdrücklich bekräftigt.
Massenentlassungsanzeige nicht nur bei betriebsbedingten Kündigungen
Einen weiteren Stolperstein in der Massenentlassungsthematik birgt überdies ein neues Urteil des LAG Düsseldorf ( Urt. v. 15.10.2021 - 7 Sa 405/21).
Dieses entschied, dass eine Massenentlassungsanzeige, wie bislang landläufig angenommen, nicht nur bei betriebsbedingten Kündigungen erfolgen muss. Nach dem Wortlaut, der Systematik und dem Sinn und Zweck des § 17 KSchG bestehe die Anzeigepflicht gegenüber der Agentur für Arbeit auch bei krankheitsbedingten Massenentlassungen. Im Gesetzgebungsverfahren sei zwar ausdrücklich angeregt worden, personen- und verhaltensbedingte Kündigungen von der Anzeigepflicht auszunehmen. Im Wortlaut der Norm habe diese Unterscheidung jedoch keinen Niederschlag gefunden und auch die Richtlinie schreibe kein gegenteiliges Ergebnis vor.
Nun wird man zwar mit reinen personen- und oder verhaltensbedingten Kündigungen regelmäßig nicht die Grenzwerte erreichen, die zur Pflicht einer Massenentlassungsanzeige führen. Vorsicht ist jedoch geboten, wenn eine personen- oder verhaltensbedingte Kündigung in den Zeitraum einer Welle von betriebsbedingten Kündigungen fällt. Die personen- und verhaltensbedingten Kündigung sollten deshalb zum einen bei der Berechnung der Schwellenwerte zur Anzeigepflicht berücksichtigt werden. Zum anderen ist darauf zu achten, dass Arbeitnehmer, die zeitgleich, aber unabhängig von einer betriebsbedingten Kündigungswelle - zu betrachten ist dabei ein Zeitraum von 30 Tagen - aus personen- oder verhaltensbedingten Gründen gekündigt werden, vorsorglich in die Massenentlassungsanzeige mit aufgenommen werden sollten.
Man mag es für problematisch halten, dass eine formelle Anforderung wie die Massenentlassungsanzeige eine solche kündigungsrechtliche Bedeutung erlangt. Die Praxis muss gleichwohl hiermit umgehen.