Achten Unternehmen nicht auf menschenwürdige Arbeitsbedingungen, drohen drastische Bußgelder
Multinationale Konzerne haben enormen Einfluss auf die Arbeitsbedingungen der Arbeitskräfte in ihren Lieferketten. Mittels einer Due Diligence zur Aufdeckung von Menschenrechtsverletzungen in den Lieferketten können sie Druck auf Zulieferunternehmen ausüben, damit diese die Beschäftigungsbedingungen ihrer lokalen Arbeiter verbessern. Vielen Industrienationen, unter ihnen Deutschland, gehen inzwischen einen Schritt weiter und erlassen entsprechende Gesetze, um so neben freiwillig durchgeführten Due Diligence Prüfungen auch verpflichtende Verantwortlichkeiten bei der Überwachung ihrer Lieferketten zu schaffen. Das Bundeskabinett hat am 3. März 2021 den Entwurf eines deutschen Lieferkettengesetzes beschlossen. Das Gesetz soll noch in dieser Legislaturperiode verabschiedet werden. Größerer Widerspruch im Bundestag ist nicht mehr zu erwarten. Was kommt hier auf deutsche Unternehmen zu?
Der deutsche Ansatz eines Lieferkettengesetzes
Deutschland verfolgte zunächst einen freiwilligen Ansatz, um Unternehmen zu mobilisieren, sich mit den Auswirkungen ihrer Geschäftsbeziehungen auf Menschenrechte von ArbeitnehmerInnen in ihren Lieferketten auseinanderzusetzen. Im Rahmen der Umsetzung des nationalen Aktionsplans zur Umsetzung der UN Social Development Goals gab die Politik landesweit Fragebögen an Unternehmen aus, um so Erkenntnisse darüber zu gewinnen, inwieweit Unternehmen sich auch ohne verpflichtende Vorgaben für die Umsetzung der Social Development Goals engagieren. Das Ergebnis dieser Umfrage zeugte von einem eher geringen Engagement vieler deutscher Unternehmen zur Vermeidung von Menschenrechtsverletzungen in ihren Lieferketten. Nur 455 der befragten 2.250 Unternehmen beantworteten den Fragebogen und weniger als 50% erfüllten die Sorgfaltspflichtanforderungen. Zeitpunkt (mitten im ersten Corona-Lockdown) und Art und Weise der Umfrage (hunderte E-Mails nicht zielgenau adressiert) wurden zwar insbesondere von der Textil- und Modeindustrie teils harsch kritisiert, der politische Ball war damit aber endgültig ins Rollen gebracht und das Gesetz soll nunmehr in einem Parforceritt verabschiedet werden.
Der ministerien- und koalitionsparteiübergreifende Gesetzentwurf zur Sorgfaltspflicht multinationaler Unternehmen in ihren Lieferketten markiert den Schritt von der Freiwilligkeit des Engagements bei der menschenrechtlichen Due Diligence hin zu einer harten Verpflichtung der Beteiligten. Geplant ist, ab dem 1. Januar 2023 Unternehmen mit in der Regel mehr als 3.000 Beschäftigten, die ihren Sitz, ihre Hauptniederlassung oder ihre Hauptverwaltung im Inland haben, zu verpflichten, Prüfungen zu potenziellen oder tatsächlichen Menschenrechtsverletzungen in ihren Lieferketten durchzuführen und darüber öffentlich zu berichten. Ab dem 1. Januar 2024 sollen diese Pflichten auf Unternehmen mit in der Regel mehr als 1.000 Beschäftigten ausgeweitet werden. Zeitarbeitskräfte mit einer Einsatzdauer von mehr als sechs Monaten sowie Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer konzernangehöriger Gesellschaften sind bei den Schwellenwerten zu berücksichtigen.
Die neuen Pflichten
Der Gesetzentwurf verpflichtet alle von ihm erfassten Unternehmen zur Etablierung von Mechanismen, um Menschenrechtsverletzungen zu identifizieren. Umfassende Risikoanalysen müssen betrieben und Risikomanagementsysteme eingeführt oder mit Blick auf potentielle Menschenrechtsverletzungen ergänzt werden. Weiterhin verlangt der Entwurf in Zukunft eine Grundsatzerklärung zur eigenen Menschenrechtsstrategie, die den Umgang mit den neuen Pflichten näher konkretisiert. Sofern die Risikosysteme Anlass dazu bieten, müssen die Unternehmen Präventionsmaßnahmen sowie Abhilfeaktionen ergreifen. Es sollen zudem Beschwerdeverfahren für Betroffene von Verletzungen etabliert werden. Im Rahmen einer umfassenden Dokumentations- und Berichtspflichtsind jährliche Geschäftsberichte über die Pflichtenerfüllung zu veröffentlichen und an die zuständigen Behörden zu übersenden.
Die Durchsetzung der neuen Pflichten soll durch das Bundesamt für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle erfolgen. Eingriffsbefugnisse bestehen sowohl von Amts wegen als auch auf Veranlassung betroffener Personen. Das Bundesamt kann gegenüber den Unternehmen die Ergreifung von bestimmten Maßnahmen anordnen; es bestehen darüber hinaus zur Überprüfung auch Informations- und Zutrittsrechte in die Geschäftsräume der Unternehmen.
Vor allem aber sieht der Entwurf umfassende Bußgeldsanktionen vor, wenn Unternehmen gegen die gesetzlichen Sorgfaltspflichten, die Vorgaben zum Risikomanagement oder die Berichtspflichten verstoßen. Die Geldbußen sind gestuft und reichen grundsätzlich bis zu 800.000 Euro. Macht ein Unternehmen mehr als 400 Millionen Euro Umsatz, kann die Geldbuße sogar bis zu 2 Prozent des weltweiten Umsatzes betragen. Im Fall von Volkswagen würde das zu einem Bußgeld von 5 Milliarden Euro führen, wie die Frankfurter Allgemeine Zeitung kürzlich ermittelt hat.
Auch ein Ausschluss von öffentlichen Ausschreibungen für bis zu drei Jahre ist vorgesehen, nicht hingegen so genannte Safe-Harbor Regelungen, die es den Unternehmen ermöglichen würden, sich bei durchgeführter Risikoanalyse und Schaffung von Abhilfemaßnahmen von einer zivilrechtlichen Haftung gegenüber verletzten Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern zu befreien. Eine deliktische Haftung der Unternehmen schließt der Gesetzentwurf nicht aus, auch wenn das Gesetz keinen internationalen Geltungsbereich hat. Schadensersatzansprüche sind demnach weiterhin nach den nationalen Regeln desjenigen Staats zu verfolgen, in dem der Schaden eingetreten ist.
Das Gesetz ermöglicht allerdings eine neue prozessstandschaftliche Vertretung von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern durch Gewerkschaften und NGOs, wenn diese in den von dem Gesetz geschützten Rechtspositionen verletzt sind. Diese Befugnis ist nicht auf inländische Personen beschränkt und ermöglicht Arbeitskräften von ausländischen Zulieferern die Prozessführung vor deutschen Gerichten. Betroffene Unternehmen müssen mit einer aufmerksamen medialen Begleitung solcher Prozesse rechnen.
Quo Vadis?
Das neue Lieferkettengesetz stellt die betroffenen Unternehmen vor umfassende und in dieser Tragweite nie da gewesene Herausforderungen bei der Gestaltung und Überwachung ihrer internationalen Vertragsbeziehungen. Die Unternehmen müssen Prüfmechanismen selbst in solchen Ländern etablieren, in denen sie keine eigene Niederlassung haben. Angesichts der Vorteile solcher Bemühungen für Belegschaften im globalen Süden sowie der finanziellen Nachteile derjenigen Unternehmen, die bereits heute freiwillige Due Diligence Prozesse in Bezug auf potentielle Menschenrechtsverletzungen etabliert haben, wird der neue gesetzliche Rahmen wahrscheinlich dazu beitragen, gerechtere Marktbedingungen zu schaffen. Ob deutsche Unternehmen sich aus "problematischen" Ländern hingegen, wie vielfach befürchtet wird, eher zurückziehen werden als dort mit höchst unsicherer Aussicht auf Erfolg gegen die schlechten Arbeitsbedingungen anzugehen, muss genau beobachtet werden – das Lieferkettengesetz würde seiner eigenen Zielsetzung damit einen Bärendienst erweisen.
Bis auf Weiteres können Unternehmen, deren Wertschöpfung auf lange und wenig transparente Lieferketten angewiesen ist, auf die angekündigte Veröffentlichung von branchenübergreifenden und branchenspezifischen Empfehlungen zur Einhaltung der neuen Vorgaben durch das Bundesamt für Wirtschaft und Außenkontrolle hoffen und sollten sich darüber hinaus angesichts der möglicherweise existenzbedrohenden Sanktionsrisiken rechtzeitig umfassend zu den neuen Pflichten beraten lassen. Auch IT-basierte Hilfestellungen über CRM-Systeme oder die Blockchain sollten erwogen werden. Das gilt umso mehr, als eine noch viel weitergehende Lieferketten-Compliance auf EU-Ebene geplant ist und nach derzeitigem Stand bereits im Jahr 2024 in Kraft treten könnte. Nach den Plänen der EU werden sämtliche Unternehmen unabhängig von der Personalgröße in die Pflicht genommen und müssen dann direkt für die gesamte Lieferkette geradestehen, nicht nur, wie das deutsche Gesetz im ersten Schritt vorsieht, für den "unmittelbaren" Zulieferer. Das Ganze soll mit einer zivilrechtlichen und ggf. sogar strafrechtlichen Haftung einhergehen. Das deutsche Lieferkettengesetz müsste an solche Verschärfungen angepasst werde.
Fest steht jedenfalls, dass der Startschuss für die Einbeziehung von Menschenrechtsverletzungen in die unternehmerischen Risikoanalyseprozesse nun auch für bisher zögerliche Unternehmen gefallen ist.