Fehlende Vorab-Beteiligung des Integrationsamtes bei Kündigung kann Entschädigungsanspruch auslösen
Die Zustimmung des Integrationsamtes ist nach § 168 SGB IX Wirksamkeitsvoraussetzung für eine vom Arbeitgeber beabsichtigte Kündigung des Arbeitsverhältnisses mit einem schwerbehinderten Menschen. Sie soll dessen besonderen Schutzinteressen Rechnung tragen und aus der Behinderung resultierende Benachteiligungen auf dem Arbeitsmarkt ausgleichen. Verstoßen Arbeitgeber dagegen, hat dies die Nichtigkeit der Kündigung zur Folge.
Das BAG hat sich nun ausweislich der bislang allein vorliegenden Pressemitteilung dahingehend positioniert, dass die Nichtbeteiligung des Integrationsamtes vor Ausspruch der Kündigung schwerbehinderter Arbeitnehmer im Einzelfall die widerlegbare Vermutung i. S. d. § 22 AGG begründen kann, dass die mit der Kündigung verbundene unmittelbare Benachteiligung wegen der Schwerbehinderung erfolgte. Dies kann dann für den Arbeitgeber auch die Pflicht zur Zahlung einer Entschädigung (§ 15 Abs. 2 AGG) nach sich ziehen.
Der Sachverhalt
Der schwerbehinderte Kläger war für den Beklagten an einer Grundschule als Hausmeister tätig und mehrwöchig wegen eines Schlaganfalls und einer davon resultierenden halbseitigen Lähmung arbeitsunfähig erkrankt. Daraufhin kündigte der Beklagte das Arbeitsverhältnis mit dem Kläger, ohne jedoch das Integrationsamt vorab zu beteiligen. Die Schwerbehinderung war zum Zeitpunkt des Zugangs der Kündigung behördlicherseits nicht anerkannt. Der Kläger griff die Kündigung in einem sich anschließende Kündigungsschutzverfahren an, wobei die Parteien in diesem einen Vergleich zur einvernehmlichen Beendigung des Arbeitsverhältnisses schlossen.
Der Kläger erhob im Nachgang Klage auf Zahlung einer Entschädigung nach § 15 Abs. 2 AGG und argumentierte, der Beklagte habe ihn wegen seiner Behinderung benachteiligt. Dies ergebe sich u. a. daraus, dass der Beklagte bei der Kündigung des Arbeitsvertrages gegen die Pflicht zur (Vorab-)Beteiligung des Integrationsamtes und damit auch gegen Verfahrens- bzw. Förderpflichten zugunsten schwerbehinderter Menschen verstoßen habe. Die Anerkennung der Schwerbehinderung sei zum Zeitpunkt der Kündigung zwar nicht beantragt, aber jedenfalls offenkundig gewesen. Der Beklagte habe zum Zeitpunkt des Zugangs der Kündigung Kenntnis davon gehabt, dass der Kläger infolge eines Schlaganfalls halbseitig gelähmt ist.
Die Entscheidung
Das zuständige Arbeitsgericht und auch das LAG Sachsen-Anhalt wiesen die Klage ab. Dem schloss sich das BAG an – die Revision hatte keinen Erfolg. Argumentiert hat das BAG wie folgt:
Der Kläger hat keinen Anspruch auf Zahlung einer Entschädigung. Zwar könne – so das BAG – die fehlende Beteiligung des Integrationsamtes vor Ausspruch der Kündigung eines schwerbehinderten Arbeitnehmers im Einzelfall die widerlegbare Vermutung i. S. v. § 22 AGG begründen, dass die Schwerbehinderung (mit)ursächlich für die in einer solchen Kündigung liegende Benachteiligung (i. S. v. § 3 AGG) sei. Allerdings habe der Kläger nicht schlüssig dargelegt, dass der Beklagte gegen seine Pflicht, das Integrationsamt zu beteiligen, verstoßen habe. Selbst wenn es zuträfe, dass der Kläger einen Schlaganfall erlitten und mit halbseitiger Lähmung auf der Intensivstation behandelt worden ist, lägen keine Umstände vor, nach denen im Zeitpunkt der Kündigung durch den Beklagten von einer offenkundigen Schwerbehinderung auszugehen war. Auch die Annahme des LAG Sachsen-Anhalt, der Kläger habe keine anderen Indizien für eine Benachteiligung wegen der Behinderung dargetan, hielt in der Revision und wurde vom BAG bestätigt.
Aufgepasst vor Ausspruch einer Kündigung
Für die Verneinung einer Entschädigungspflicht des Beklagten war in der hier betrachteten Entscheidung des BAG allein maßgeblich, dass der Kläger seine (Schwer)Behinderung bzw. die Offenkundigkeit für den beklagten Arbeitgeber nicht substantiiert darlegen bzw. beweisen konnte.
Ist die Schwerbehinderung jedoch bekannt bzw. behördlicherseits anerkannt und wird dennoch eine Kündigung ohne vorherige Zustimmung des Integrationsamtes ausgesprochen, müssen Arbeitnehmer in einem etwaigen Klageverfahren auf Entschädigung lediglich Indizien für eine Benachteiligung aufgrund der Behinderung vortragen. Es wäre dann die Aufgabe des Arbeitgebers, diese Indizien zu entkräften und einen Gegenbeweis anzutreten (sog. Beweislastumkehr). Gelingt dies nicht, kann die behauptete und mit Indizien gefütterte Benachteiligung wegen einer Behinderung Grundlage einer Entschädigungszahlung nach dem AGG sein.
Im Zusammenhang mit der Bewerbung eines schwerbehinderten Menschen nahm das BAG (9 AZR 635/03) bereits an, dass ein Verstoß gegen die im Bewerbungsverfahren zu beachtenden Vorschriften zur Förderung der Teilhabe schwerbehinderter Menschen am Berufsleben ein Indiz für eine Benachteiligung i. S. d. AGG sein und damit einen Entschädigungsanspruch auslösen kann. Insofern ist der nunmehr vom BAG diskutierte Entschädigungsanspruch wegen der nicht erfolgten Beteiligung des Integrationsamtes vor Ausspruch einer Kündigung keine Überraschung, sondern reiht sich in die bisherige Rechtsprechung ein.