Über eine realitätsfremde Literaturauffassung und den praktischen Umgang damit
Kündigungserklärungen werden in der Praxis regelmäßig entweder persönlich gegen Empfangsbekenntnis übergeben oder durch einen Boten zugestellt. Der Bote ist üblicherweise nicht identisch mit der zum Ausspruch der Kündigungen berechtigten Person. Oftmals handelt es sich hierbei um Botendienste. Es stellt sich daher die Frage, ob der Erklärungsempfänger die Kündigung mit dem Argument zurückweisen kann, dass der Bote nicht zum Ausspruch der Kündigung bevollmächtigt gewesen sei.
Auffassung in Literatur und Rechtsprechung
In Literatur „geistern“ geradezu hanebüchene Auffassungen umher, die Anwendbarkeit von Vertretungsregelungen auf die Boten betreffend. Gleichwohl muss der Rechtsanwender, also der Arbeitgeber, der einen Mitarbeiter oder eine Mitarbeiterin kündigen möchte, sich mit diesen Auffassungen in aller Ernsthaftigkeit auseinandersetzen und auf die – noch so abwegige – Rechtslage beim Ausspruch von Kündigungen einstellen. Es wird u.a. in einem EFAR Blog vertreten, dass zumindest Mitarbeiter, die Ihren Kollegen ein Kündigungsschreiben aushändigen, eine auf sie ausgestellte Originalvollmacht vorlegen sollen, damit die Kündigung nicht zurückgewiesen werden kann. Dasselbe soll für Anwälte gelten, die ein Kündigungsschreiben überbringen. Die Rechtsprechung hat sich zu dieser (Schein-) Problematik bisher noch nicht geäußert.
Tatsächliche Vertretungsmacht
Eine Kündigung ist eine einseitige Willenserklärung, die, wenn der Arbeitgeber eine juristische Person ist, nur durch einen tatsächlich bevollmächtigten Vertreter gemäß § 180 BGB abgegeben, d.h. unterzeichnet werden kann. Hintergrund dieser Regelung ist, dass der Arbeitnehmer sicher sein muss, dass das Rechtsgeschäft, also die Kündigung, wirksam ist, weil die Kündigung schon mit Zugang beim Arbeitnehmer wirksam wird. Eine schwebende Unwirksamkeit wie z.B. bei Verträgen, die ein vollmachtloser Vertreter abschließen kann, ist seitens des Gesetzes bei Kündigungen gerade nicht gewollt. Dies ist auch im Ergebnis richtig. Denn der gekündigte Arbeitnehmer muss sich darauf verlassen können, dass derjenige, der die Kündigung unterschreibt, auch tatsächlich hierzu bevollmächtigt ist.
Nachweis der Vertretungsmacht
Derjenige, der die Kündigung unterzeichnet, muss seine Vertretungsmacht gegenüber dem Arbeitnehmer auch nachweisen, § 174 BGB. Dieser Nachweis wird bei Geschäftsführern, die die Kündigung unterzeichnet haben, z.B. dadurch erbracht, dass sie im öffentlich einsehbaren Handelsregister als solche eingetragen sind. Dasselbe gilt für Einzelprokuristen. Der Kündigung kann auch eine Originalvollmacht, z.B. des Personalleiters beigefügt sein (§ 174 Satz 1 BGB). Fehlt es an einer solchen Originalvollmacht oder einem anderweitigen Nachweis der Vertretungsmacht (§ 174 S. 2 BGB), kann der gekündigte Arbeitnehmer die Kündigung mit der Begründung zurückweisen, dass die Vertretungsmacht nicht nachgewiesen ist. Diese Zurückweisung nach § 174 BGB ist ein übliches Instrument, um Kündigungen, die von anderen Personen als im Handelsregister eingetragenen Geschäftsführern und/oder Prokuristen unterzeichnet sind, zurückzuweisen und damit unwirksam zu machen.
Regelungszweck
Hintergrund der Regelung des § 174 BGB ist, dass der gekündigte Arbeitnehmer auch insofern geschützt werden muss, als er wissen muss, dass derjenige, der die Kündigung tatsächlich unterzeichnet, nicht nur vertretungsberechtigt ist (§ 180 BGB), sondern auch in der Lage ist, dies nachzuweisen. Denn die Besonderheit bei einer Kündigung besteht darin, dass sie als einseitiges Rechtsgeschäft mit bloßem Zugang wirksam wird. Eine besondere Annahmeerklärung oder eine sonstige Handlung des gekündigten Arbeitnehmers ist zum Wirksamwerden der Kündigung gerade nicht erforderlich.
Die §§ 174 und 180 BGB beziehen sich also auf das Bestehen und den Nachweis der Vertretungsmacht. Es geht hier um das rechtsgeschäftliche Können der handelnden Personen und deren Nachweis.
Ausdehnung der Vertretungsregelung auf Boten
Nun will die juristische Literatur diese Regelungen auch auf den Fall ausdehnen, dass zwar die richtige Person unterzeichnet hat und die Vertretungsmacht auch nachweisen kann, jedoch die Kündigung durch eine dritte Person z.B. einen Boten an den zu kündigenden Arbeitnehmer übergeben wird. Schon im ersten Semester des Jurastudiums lernt der/die Studierende, dass streng zu unterscheiden ist zwischen Abgabe einer eigenen und der Überbringung einer fremden Willenserklärung. Auf den Boten, der nur eine fremde Willenserklärung überbringt, sind die Regelungen der Stellvertretung nach klarer Gesetzeslage gerade nicht anwendbar. Denn der Bote erklärt nicht, sondern überbringt nur etwas.
Die Literatur möchte jedoch die Überbringung eines Kündigungsschreibens durch einen Boten in den Anwendungsbereich des § 174 BGB einbeziehen. Überbringt ein Bote eine Kündigung (die z.B. vom Vertretungsberechtigten und im Handelsregister eingetragenen Geschäftsführer unterzeichnet ist) so soll er angeblich seine Botenmacht nachweisen müssen, andernfalls könne der gekündigte Arbeitnehmer die Kündigung mit der Begründung wirksam in entsprechender Anwendung des § 174 BGB zurückweisen, dass der Bote seine Botenmacht, also seinen Auftrag zur Überbringung der Kündigung, nicht nachweist. Man muss sich die Frage stellen, ob dies bei jedem Boten gelten soll, z.B. auch beim Postboten, wenn die Kündigung z.B. mit Einschreiben versandt wird. Allein diese Frage zu stellen, zeigt, wie realitätsfremd die Literaturauffassung ist.
Fazit:
Trotz der juristisch vollkommen abwegigen Diskussion um die Übertragung der Vertretungsregeln auf den Boten, bleibt mir als Anwalt nur folgende Empfehlung: Geben Sie einem Boten, der eine Kündigung überbringen soll, ein original Schriftstück mit an die Hand, aus dem sich sein Auftrag zur Zustellung der Kündigung ergibt und die Unterschrift einer vertretungsberechtigten Person des Arbeitgebers trägt, jedenfalls bei Kurierdiensten und privaten Boten. Beim Postboten dürfte derartige Formalien (noch) überflüssig sein.