Trennungen – gleich ob einvernehmlich oder einseitig – sind Bestandteil des Arbeitslebens. Doch nicht jeder Trennungsgrund hält auch vor einem Arbeitsgericht. Wenn das Gericht die Unwirksamkeit einer ausgesprochenen Kündigung feststellt, muss der Arbeitgeber die nach Ablauf der Kündigungsfrist nicht mehr gezahlte Vergütung an den Arbeitnehmer nachzahlen. Weil es bis zu einer rechtskräftigen Entscheidung manchmal Jahre dauern kann, summiert sich dieses Annahmeverzugslohnrisiko sehr oft zu hohen Beträgen. Die Arbeitnehmerseite setzt diese wirtschaftlichen Risiken oft als Druckmittel ein, um eine hohe Abfindung zu erhalten. Nachfolgend zeigen wir Ihnen auf, wie Sie diese wirtschaftlichen Risiken erheblich minimieren können.
Arbeitnehmer, die bis zum Urteil nichts tun, riskieren viel
Arbeitnehmer müssen sich während des bestehenden Arbeitsverhältnisses gemäß § 615 S. 2 BGB bzw. § 11 KSchG auf die geschuldete Vergütung nicht nur einen tatsächlich erzielten anderweitigen Verdienst anrechnen lassen, sondern auch den Wert desjenigen, was sie hätten verdienen können, wenn sie es nicht böswillig unterlassen hätten, eine zumutbare Arbeit anzunehmen. Arbeitnehmer, die sich bis zum Ausgang des Rechtsstreits nicht um einen neuen Arbeitsplatz bemühen, riskieren also, dass sie ihre Ansprüche auf Annahmeverzugslohn verlieren. Voraussetzung ist jedoch, dass der gekündigte Arbeitnehmer eine ihm bekannte und ihm zumutbare Tätigkeit bewusst nicht aufnimmt.
Auskunftsanspruch des Arbeitgebers
Um feststellen zu können, ob der gekündigte Arbeitnehmer böswillig handelt, benötigt der Arbeitgeber Informationen über dessen Bewerbungsbemühungen. Eine geänderte BAG-Rechtsprechung hilft Arbeitgebern nun, diese Informationen zu erhalten.
Denn mit Urteil vom 27.05.2020 (Az. 5 AZR 387/19) hat das BAG erstmals einen Auskunftsanspruch des Arbeitgebers gegen den gekündigten Arbeitnehmer anerkannt. Während Arbeitgeber bislang nachweisen mussten, auf welche konkreten, geeigneten Stellen sich der Arbeitnehmer nicht beworben hat, müssen nunmehr gekündigte Arbeitnehmer ihre Bewerbungs- und Vermittlungsbemühungen darlegen und nachweisen. Während das LAG Berlin-Brandenburg mit Urteil vom 30.09.2022 (Az. 6 Sa 280/22) noch sehr weitreichend davon ausging, dass unzureichende Bewerbungsbemühungen des Arbeitnehmers den Annahmeverzugslohn ausschließen und umfangreiche eigene Bewerbungsbemühungen erforderlich sind, schränkte das LAG Hamburg mit Urteil vom 06.10.2022 (Az. 9 Ca 119/22) diese Rechtsprechung kürzlich wieder ein und urteilte, dass jedenfalls konkrete Stellenangebote erforderlich seien. Der bloße Verweis auf einen für den Arbeitnehmer günstigen Arbeitsmarkt resp. Beschäftigungsmöglichkeiten seitens des Arbeitgebers ist somit nicht mehr ausreichend. Vielmehr müssen die Beschäftigungsmöglichkeiten dem Arbeitnehmer während des Annahmeverzugs bekannt sowie konkret, bestimmbar und zumutbar sein. Werden dem Arbeitnehmer konkrete Stellenanzeigen zugesandt, muss er diese in seine Bewerbungsbemühungen einbeziehen und zumindest auf Zumutbarkeit prüfen. Ist die Stelle zumutbar, muss er der Stellenanzeige nachgehen. Anderenfalls kann ihm der Vorwurf des böswilligen Unterlassens entgegengehalten werden.
Welche Informationen hat der gekündigte Arbeitnehmer bereitzustellen?
Um beurteilen zu können, ob der gekündigte Arbeitnehmer einen anderweitigen Erwerb tatsächlich böswillig unterlassen hat, haben das BAG und das LAG Berlin-Brandenburg nachfolgende Indizien herangezogen:
1. Auskunft über Vermittlungsvorschläge der Agentur für Arbeit
Arbeitnehmer sind verpflichtet, dem Arbeitgeber sämtliche von der Agentur für Arbeit oder dem Jobcenter unterbreiteten Vermittlungsvorschläge unter Nennung von Tätigkeit, Arbeitsort, Arbeitszeit und Vergütung mitzuteilen.
2. Hinreichende Darlegung der Unzumutbarkeit
Arbeitnehmer müssen zudem für jede einzelne Bewerbung schlüssig darlegen, weshalb es nicht zu einem Vertragsschluss gekommen ist bzw. warum ein solcher unzumutbar für sie war.
Als Kriterien für eine Unzumutbarkeit kommen beispielsweise die Arbeitsbedingungen, Gründe in der Person des Arbeitnehmers oder die Art der Tätigkeit in Betracht. Von Bedeutung ist auch der Ort der Tätigkeit. So kann eine erhebliche räumliche Entfernung zum bisherigen Arbeitsplatz eine Unzumutbarkeit begründen. Dabei ist zu beachten, dass ein Arbeitnehmer grundsätzlich auch eine deutliche Verschlechterung seiner Arbeitsbedingungen hinzunehmen hat, wenn er keine berechtigten Aussichten hat, in absehbarer Zeit eine für ihn günstigere Arbeit zu finden.
3. Quantität und Vorlage der konkreten Bewerbungen
Die Gesamtanzahl der verfassten Bewerbungen kann ebenfalls als Indiz für ein böswilliges Unterlassen herangezogen werden. Dazu ist die Anzahl der Bewerbungen im Verhältnis zur Dauer der Arbeitslosigkeit zu betrachten. Nach Ansicht des LAG Berlin-Brandenburg ist davon auszugehen, dass im Falle einer fehlenden Beschäftigung, Bewerbungsbemühungen im zeitlichen Umfang einer Vollzeitstelle zu entfalten sind und bei länger andauernder Arbeitslosigkeit auch eine entsprechende Verpflichtung hierzu besteht. Ernsthafte Bewerbungsbemühungen können daher nicht angenommen werden, wenn sich ein gekündigter Arbeitnehmer weniger als ein Mal pro Woche bewirbt.
4. Qualität der Bewerbungen
Ein gekündigter Arbeitnehmer hat zudem die konkreten Bewerbungsschreiben im Einzelnen vorzulegen. Dieser Nachweis ist notwendig, damit der Arbeitgeber die Anzahl und Qualität der verfassten Bewerbungen prüfen und nachvollziehen kann. Für die Beurteilung der Qualität der Bewerbungen ist unter anderem relevant, ob
die eingereichte Bewerbung bzw. deren Betreff ein Stellenkennzeichen oder eine schlagwortartige Bezeichnung der Stelle aufweist,
eine individualisierte Anrede vorgenommen wurde,
die Bewerbung an die zu besetzende Stelle und/oder auf den potenziellen Arbeitgeber ausgerichtet wurde,
das Anschreiben keine Rechtschreibfehler und eine angemessene Länge aufweist.
Treffen die Anforderungen nicht zu, hat auch dies Indizwirkung für ein böswilliges Unterlassen anderweitigen Erwerbs.
5. Rückfragen und Follow-Up
Sofern der gekündigte Arbeitnehmer keine Reaktion auf seine Bewerbungen erhält, kann von ihm erwartet werden, dass er nach entsprechendem Zeitablauf bei den potenziellen Arbeitgebern nachfasst und sich nach dem Sachstand erkundigt.
6. Angaben zum erzielbaren Verdienst
Als weiteres Indiz kommt die (fehlende) Angabe zum konkret erzielbaren Verdienst bei potenziellen neuen Arbeitgebern in Betracht. Sofern gekündigte Arbeitnehmer hierzu keine Angaben machen bzw. machen können, deutet dies darauf hin, dass möglicherweise überhaupt kein Kontakt zu diesen aufgenommen wurde.
Was bedeutet das für Arbeitgeber?
Arbeitgeber haben nun die Möglichkeit, den wirtschaftlichen Druck auf gekündigte Arbeitnehmer zu erhöhen. Ihnen ist zu empfehlen, Arbeitnehmern während eines Kündigungsschutzprozesses regelmäßig passgenaue Stellenangebote zu senden und von ihrem Auskunftsrecht Gebrauch zu machen. Die gekündigten Arbeitnehmer müssen dann dem Arbeitgeber über ihre Bewerbungsbemühungen vollständig, schriftlich und in regelmäßigen Abständen Auskunft erteilen. Die große Herausforderung dabei ist, regelmäßig passgenaue Stellenangebote zu finden. Die dafür erforderliche kleinteilige und oft kostspielige Suche in Stellenportalen können wir Ihnen ersparen. Denn gemeinsam mit unserem exklusiven Kooperationspartner Talent-Placement haben wir ein Legal-Tech-Tool entwickelt, das zu einem attraktiven Preis alle zumutbaren Stellenangebote findet. Dafür senden wir Talent Placement einen anonymisierten Lebenslauf, den Einsatzort und den Suchradius. Eine KI findet dann in der größten und täglich aktualisierten Datenbank für Stellenangebote die passenden Stellen. Diese Stellenangebote senden wir der Arbeitnehmerseite, und zwar aufbereitet nach den von der Rechtsprechung vorgegebenen Grundsätzen. Wenn der Arbeitnehmer seine Ansprüche auf Annahmeverzugslohn nicht verlieren will, muss er sich auf diese Stellen ernsthaft bewerben. Im Idealfall findet er dann schnell einen neuen Arbeitgeber und ist zu einer einvernehmlichen Trennung bereit.
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