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Entgelttransparenzgesetz - schärft die EU dem Papiertiger die Zähne?

van_portraits_840x840px_02_vianden.png Dr. Sabine Vianden

Juli 2021

Lesedauer: Min

Ein neuer Richtlinienvorschlag der Europäischen Kommission soll die Entgelttransparenz stärken

Am 06.07.2021 hat das Entgelttransparenzgesetz seinen vierten Geburtstag gefeiert. Ziel des Entgelttransparenzgesetzes ist es, das Gebot des gleichen Entgelts für Frauen und Männer bei gleicher oder gleichwertiger Arbeit durchzusetzen und so bestehende Gehaltsunterschiede im Zusammenhang mit der viel diskutierten „Gender Pay Gap“ zu beseitigen. Ansatzpunkt ist dabei, das Thema Entlohnung im Betrieb zu enttabuisieren, Gehaltsstrukturen transparenter zu machen und so die Grundlagen für die Rechtsdurchsetzung zu schaffen. Schon vor seinem Inkrafttreten in den letzten Zügen der 18. Legislaturperiode war das Gesetz großer Kritik ausgesetzt gewesen. Auch die erste Evaluierung im Jahr 2019 ergab ein ambivalentes Zwischenfazit, in dem vor allem der geringe Bekanntheitsgrad des Gesetzes und der damit einhergehende Stellenwert in der Unternehmensrealität festgestellt wurden. 

Neue Aufmerksamkeit im deutschen Arbeitsrecht erlangte das Gesetz Anfang des Jahres durch ein Urteil, in dem das Bundesarbeitsgericht bestätigte, dass die Informationen, die nach dem Auskunftsanspruch des Entgelttransparenzgesetzes durch Arbeitnehmer:innen erlangt werden, Grundlage der widerleglichen Vermutung einer geschlechtsdiskriminierenden Vergütung sein können. Wie auch das Handelsblatt am 29.05.2021 berichtete, spielt die Anwendung des Gesetzes im Alltagsgeschäft vieler Unternehmen jedoch bislang keine große Rolle. In anderen Ländern hingegen, z.B. in Großbritannien oder den USA erhält dieses Thema bedeutend mehr Aufmerksamkeit. Aufgrund einer oftmals befürchteten Störung des Betriebsfriedens erfreut sich das Thema Entgelttransparenz in Deutschland hingegen keiner großen Beliebtheit. Dies könnte sich in Zukunft ändern, denn die Europäische Kommission hat am 04.03.2021 einen Vorschlag für eine neue Richtlinie im Wirkungsbereich des Entgelttransparenzgesetzes vorgelegt, die an vielen Stellen strengere Vorgaben als das deutsche Gesetz enthält.

Der neue Richtlinien-Vorschlag
Am 04.03.2021 hat die Europäische Kommission eine Richtlinie zur Stärkung der Anwendung des Grundsatzes des gleichen Entgelts für Männer und Frauen bei gleicher oder gleichwertiger Arbeit durch Lohntransparenz und Durchsetzungsmechanismen (EntgTranspRL-V) vorgeschlagen. Der Vorschlag bedarf noch der Billigung des Europäischen Parlaments und des Rates der Europäischen Union. Bisher existierte von Seiten der Europäischen Union nur eine unverbindliche Empfehlung für Regelungen zur Entgelttransparenz aus dem Jahr 2014.

Inhalte der Richtlinie und Unterschiede zum Entgelttransparenzgesetz
Die Richtlinie fasst an vielen Stellen Regelungen, die auch im Entgelttransparenzgesetz enthalten sind, strenger. Zum Teil schafft sie aber auch gänzlich neue Vorgaben.

Lohntransparenz für Stellenbewerber:innen

So ist in Art. 5 EntgTranspRL-V vorgesehen, dass schon Stellenbewerber:innen das Recht haben sollen, von künftigen Arbeitgebern Informationen über das Einstiegseinkommen für die betreffende Stelle oder dessen Spanne zu erhalten. Diese müssen bereits in einer veröffentlichten Stellenausschreibung angegeben oder den Bewerber:innen anderweitig ohne Aufforderung vor dem Vorstellungsgespräch zur Verfügung gestellt werden. Die bei Einstellungsgesprächen beliebte Frage nach der Entlohnung im bisherigen Beschäftigungsverhältnis soll dagegen explizit verboten werden. Damit hat die Richtlinie einen zeitlich wie persönlich weiteren Anwendungsbereich, der bereits in die Phase vor Begründung des Arbeitsverhältnisses hineinreicht und eine erhebliche Auswirkung auf die Recruiting-Praxis von Unternehmen haben kann.

Individueller Auskunftsanspruch

Einen individuellen Auskunftsanspruch kennt auch das Entgelttransparenzgesetz. Nach Art. 7 Abs. 1 EntgTranspRL-V sollen Arbeitnehmer:innen zukünftig das Recht haben, Auskünfte über ihr individuelles Einkommen und über die Durchschnittseinkommen zu verlangen, aufgeschlüsselt nach Geschlecht und für die Arbeitnehmer:innen der Vergleichsgruppe. Unklar ist, ob die deutsche Regelung, die eine Mitteilung der Median-Durchschnittsgehälter vorsieht, insofern bereits ausreichend ist. In den Begriffsbestimmungen unterscheidet die Richtlinie nämlich zwischen „Durchschnittseinkommen“ und „Medianeinkommen“. Nach Art. 7 Abs. 2 EntgTranspRL-V sind Arbeitgeber:innen zudem dazu verpflichtet, die Beschäftigten jährlich daran zu erinnern, dass für sie ein solcher Anspruch besteht. Es entsteht also eine neue Verpflichtung dazu, aktiv darauf hinzuwirken, dass der Anspruch auch tatsächlich wahrgenommen wird.

Berichterstattung über das geschlechtsspezifische Lohngefälle

Art. 8 EntgTranspRL-V sieht zudem vor, dass Arbeitgeber:innen mit mindestens 250 Arbeitnehmern jährlich auf ihrer Website oder in anderer öffentlich zugänglicher Form über das Lohngefälle zwischen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern berichten müssen. Ob dieser Pflicht nachgekommen wird, soll durch eine von den jeweiligen Mitgliedstaaten zu benennende Stelle überwacht werden. In Deutschland kommt insofern insbesondere die Antidiskriminierungsstelle des Bundes in Frage. Informationen über das Lohngefälle zwischen Arbeitnehmer:innen nach Gruppen von Arbeitnehmern, welche die gleiche oder gleichwertige Arbeit verrichten, müssen allerdings nur intern bereitgestellt werden. Auch hier wird Arbeitgeber:innen eine erhebliche Transparenz bei der Lohnfindung abverlangt.

Ergibt der Bericht einen Unterschied im Durchschnittseinkommen von mindestens fünf Prozent und können die Arbeitgeber:innen keine objektive und geschlechtsneutrale Rechtfertigung leisten, so soll nach Art. 9 EntgTranspRL-V mit der Arbeitnehmer:innenvertretung eine gemeinsame Entgeltbewertung vorgenommen werden. Außerdem ist dann Abhilfe zu schaffen durch die Einführung einer geschlechtsneutralen Arbeitsbewertung und beruflichen Einstufung.

Stärkung von Gleichbehandlungsstellen und Arbeitnehmer:innenvertretungen

Darüber hinaus plant der Richtlinien-Vorschlag auch eine Stärkung der Unterstützungsmöglichkeiten von anerkannten Gleichbehandlungsstellen und Arbeitnehmer:innenvertretungen. Diese sollen nach Art. 13 EntgTranspRL-V mit Zustimmung betroffener Arbeitnehmer:innen in deren Namen oder zur deren Unterstützung handeln. Dies soll auch im Hinblick auf mehrere betroffene Arbeitnehmer:innen gleichzeitig gelten. Nach den Erläuterungen des Richtlinien-Vorschlags, sollen so verfahrenstechnische und kostenbedingte Hindernisse im Hinblick auf eine Klageerhebung für betroffene Arbeitnehmer:innen überwunden werden.

Entschädigungsanspruch

Haben Arbeitnehmer:innen durch die Verletzung von Rechten oder Pflichten im Zusammenhang mit dem Grundsatz des gleichen Entgelts bei gleicher oder gleichwertiger Arbeit einen Schaden erlitten, so soll ihnen nach Art. 14 EntgTranspRL-V ein Anspruch auf Entschädigung zustehen. Dass dieser Anspruch im Wesentlichen über die bereits in § 15 AGG vorgesehenen Ansprüche hinausgeht, ist eher nicht anzunehmen. Es ist allerdings zu beachten, dass die Richtlinie die Beschränkung des Anspruchs durch eine Kappungsgrenze untersagt – eine solche ist im deutschen Recht bislang ohnehin nur bei Nichteinstellung vorgesehen.

Beweislastumkehr

Wichtig und interessant könnte für Arbeitnehmer:innen in Zukunft die in Art. 16 EntgTranspRL-V vorgesehene Beweislastumkehr sein: Bei Glaubhaftmachung einer Entgeltdiskriminierung, soll es den der Arbeitgeberseite obliegen, diese Vermutung zu widerlegen. Gleiches gilt, wenn Arbeitgeber:innen gegen Rechte oder Pflichten im Zusammenhang mit der Lohntransparenz verstoßen.

Sanktionen

Haben die Vorgaben des Entgelttransparenzgesetzes für Unternehmen bislang wenig Anreize gesetzt, diese auch umzusetzen und Entgeltgleichheit aktiv zu fördern, so könnte sich dies aufgrund der in Art. 20 EntgTranspRL-V vorgesehenen Sanktionsregelung ändern. Verletzungen der Rechte und Pflichten im Zusammenhang mit dem Entgeltgleichheitsgebot sollen mit Geldstrafen belegt werden. Bei wiederholten Verletzungen soll auch der Entzug öffentlicher Zuwendungen oder der Ausschluss von der Gewährung finanzieller Anreize für einen bestimmten Zeitraum folgen. Die Mitgliedstaaten sollen nach Art. 21 EntgTranspRL-V zudem prüfen, wie die Wahrung des Grundsatzes des gleichen Entgelts bei der Ausführung von öffentlichen Verträgen und Konzessionen gewährleistet werden kann. In Betracht kommt insofern auch der Ausschluss von der Teilnahme an Vergabeverfahren 

Fazit, worauf Unternehmen sich einstellen müssen
Wie gezeigt wurde, besteht im Verhältnis zu den Vorgaben des Richtlinien-Vorschlags Nachbesserungsbedarf im Entgelttransparenzgesetz. Arbeitgeber:innen sollten sich deshalb schon jetzt darauf einstellen, dass auf sie in absehbarer Zeit mehr Pflichten im Hinblick auf die Etablierung von Entgelttransparenz und die Durchsetzung von Entgeltgleichheit zukommen. Darüber hinaus sind die möglichen Sanktionen bei Verstößen mit in die Abwägung einzustellen, wie künftig mit diesen Themen umgegangen wird. Zudem dürfte sich dann nicht nur das Risiko erhöhen, dass es überhaupt zu einem Prozess kommt, sondern auch, dass die Beweislast auf Seiten der Arbeitgeber:innen liegt. 

Gleichzeitig besteht für die Unternehmen aktuell aber die Chance, vorausschauend zu handeln, das eigene Vergütungssystem rechtzeitig auf den Prüfstand zu stellen bevor gesetzliche Regelungen greifen und so ggf. Anpassungsbedarf zu identifizieren. Solche “Pay Audits” werden von uns regelmäßig durchgeführt. Losgelöst von der rechtlichen Seite bieten sich hier auch Möglichkeiten, sich als attraktiver Arbeitgeber bzw. attraktive Arbeitgeberin am Markt zu platzieren.