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Aus zwei mach drei!? Die Auswirkungen des „dritten Geschlechts“ für Arbeitgeber

van_portraits_840x840px_02_becker.png Jan-Ove Becker

Juli 2018

Lesedauer: Min

Geschlechtsneutrale Stellenausschreibungen für Arbeitnehmer (m/w/d)

Mit Beschluss vom 10. Oktober 2017 entschied das Bundesverfassungsgericht (BVerfG), dass Personen, die sich dauerhaft weder dem männlichen, noch dem weiblichen Geschlecht zuordnen lassen, in ihrem Grundrecht aus Art. 3 III S. 1 GG sowie in ihrem Allgemeinen Persönlichkeitsrecht verletzt werden, wenn das Personenstandsrecht dazu zwingt, das Geschlecht zu registrieren, hierbei aber keinen anderen positiven Geschlechtseintrag als weiblich oder männlich zulässt. Der Gesetzgeber ist nun zur Handlung aufgefordert und muss bis zum 31. Dezember 2018 eine Neuregelung treffen, wobei es sehr wahrscheinlich ist, dass nunmehr ein drittes Geschlecht eingeführt wird. Während über die genaue Bezeichnung des dritten Geschlechts noch gestritten wird („anders“, „inter“, „divers“, „weiteres“), stellen sich auch im Arbeitsrecht neue Fragen in Bezug auf Diskriminierungen wegen des Geschlechts.

Arbeitgeber dürfen Bewerber nicht wegen ihres Geschlechts oder ihrer sexuellen Identität benachteiligen und sind gemäß § 11 AGG dazu verpflichtet, Stellenausschreibungen geschlechtsneutral zu gestalten.

Doch was bedeutet geschlechtsneutral?
Seit dem Beschluss des BVerfG muss angenommen werden, dass der Begriff „Geschlecht“ nun nicht mehr allein Männer und Frauen, sondern eben auch diejenigen umfasst, die weder dem männlichen noch dem weiblichen Geschlecht zugehörig sind. Legt man § 1 AGG im Lichte des Beschlusses durch das BVerfG aus, kommt man zu dem Ergebnis, dass das Verbot der Geschlechterdiskriminierung nun nicht mehr „nur“ für Männer und Frauen gilt, sondern auch für solche Personen, die sich „weder noch“ eindeutig zuordnen lassen. Damit spricht vieles dafür, dass sich Stellenausschreibungen künftig nicht mehr nur an Frauen oder Männer richten dürfen, sondern vielmehr auch ein drittes Geschlecht berücksichtigen müssen, um den Grundsatz der Geschlechterneutralität zu wahren. Damit wird man zugleich auch denjenigen gerecht, die zwar biologisch einem Geschlecht klar zugeordnet werden können, jedoch für sich eine andere Identität wahrnehmen. Diese werden seit jeher im AGG über das Merkmal „sexuelle Identität“ geschützt.

Und was bedeutet das für die Praxis?
Arbeitgebern ist zu raten, ihre bisherige Praxis bei Stellenausschreibungen spätestens zum Inkrafttreten des neuen Gesetzes zu verändern. Die Anpassung von Stellenausschreibungen ist auch im Hinblick auf die Beweislastumkehr des § 22 AGG ratsam. Denn wer einen Arbeitsplatz ausschreibt, ohne das dritte Geschlecht zu berücksichtigen, schafft eine Tatsache, die gemäß § 22 AGG eine Benachteiligung dieses Geschlechts vermuten lässt. Für Formulierungen werden unterschiedliche Varianten vorgeschlagen. Weiterhin unbedenklich sind zum Beispiel geschlechtsneutrale Oberbegriffe bzw. Job-Titel. Die starke Tendenz in der Rechtsberatung besteht aber dahingehend, dass seit dem Beschluss des BVerfG das dritte Geschlecht im Rahmen der Debatte um Geschlechterdiskriminierung berücksichtigt werden muss. Arbeitgeber sind daher dazu angehalten, bei ihren Stellenausschreibungen zum Ausdruck zu bringen, dass sie allen Menschen ungeachtet ihres Geschlechts offen begegnen. Soweit daher ein neutraler Job-Titel nicht zu finden ist oder der Job-Titel stark maskulin oder feminin ist, wird zu einer Erweiterung von Klammerzusätzen geraten. Der bislang häufig verwandte Zusatz (m/w) berücksichtigt das dritte Geschlecht nicht und lässt somit eine Benachteiligung wegen des Geschlechts vermuten. Ausgehend von der vom BVerfG geforderten Bezeichnung „inter/ divers“, wird vermehrt zu einem erweiterten Klammerzusatz wie (m/w/d), (m/w/i) oder vereinzelt auch (m/w/x) geraten. Konkrete Aussagen, ob dies die richtigen Formulierungen sind, können mangels bisheriger höchstrichterlicher Rechtsprechung noch nicht getroffen werden. Wir halten den Zusatz von „m/w/d“ für gut vertretbar.

Aber gerade auch jenseits der rechtlichen Fragestellungen kann sich aus personalpolitischen Erwägungen heraus eine Anpassung der bisherigen Praxis sehr empfehlen: Die Ergänzung des Klammerzusatzes um ein „d“, „i“ oder „x“ setzt ein deutliches und klares Zeichen von Toleranz, Offenheit und Fortschritt und bietet damit eine Chance, sich als modernen und zeitgemäßen Arbeitgeber zu platzieren. Auch wenn die Rechtslage bislang noch in der Schwebe sein mag, kann das Thema Diversity so pro-aktiv geprägt und gefördert werden. Auch wir haben uns entschlossen, unsere Ausschreibepraxis entsprechend anzupassen.

Die LGBT-Debatte gewinnt auch international zunehmend an Bedeutung und ist ein viel diskutiertes Thema, das nicht nur im Arbeitsrecht für die ein oder andere Veränderung sorgen wird. Die europäische „Richtlinie zur Verwirklichung des Grundsatzes der Chancengleichheit und Gleichbehandlung von Männern und Frauen in Arbeits- und Beschäftigungsfragen“ geht (noch) von einem binären Geschlechtersystem aus. Auch hier ist im Hinblick auf den aktuellen Wandel mit Veränderungen zu rechnen.

Blogbeitrag von Jan-Ove Becker und Maja Riedrich