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Wenn der Arbeitnehmer rot sieht – Zur Reichweite des Direktionsrechts bei der Vorgabe von Arbeitskleidung

Mai 2024

Lesedauer: Min

Was war passiert?

Der Kläger war seit Juni 2014 in der Produktion beschäftigt. Er führte dort regelmäßig Säge- und Metallarbeiten aus. In den Werkhallen, in denen der Kläger tätig war, fuhren Gabelstapler. Zudem war für den Arbeitgeber auch Fremdpersonal im Einsatz. Alle in der Produktion tätigen Beschäftigten waren verpflichtet, eine vom Arbeitgeber kostenfrei zur Verfügung gestellte rote Arbeitsschutzhose zu tragen.
Nachdem der Kläger dem über Jahre nachgekommen war, weigerte er sich ab Oktober 2023, die roten Arbeitsschutzhosen zu tragen. Seine ebenso simple wie knappe Begründung: Er möge die Farbe Rot nicht mehr. Der Arbeitgeber führte daraufhin wiederholt Personalgespräche mit dem Kläger. Diese blieben erfolglos, so dass der Arbeitgeber den Kläger zweimal abmahnte. Da der Kläger sich weiterhin weigerte, die rote Arbeitsschutzhose zu tragen, kündigte der Arbeitgeber schließlich das Arbeitsverhältnis ordentlich. Auf eine fristlose Kündigung verzichtete der Arbeitgeber aus sozialen Erwägungen mit Blick auf die Betriebszugehörigkeit des Klägers.

Wesentliche Entscheidungsgründe

Die vom Kläger eingelegte Berufung gegen das klageabweisende Urteil des Arbeitsgerichts war erfolglos. Zur Begründung seines Urteils ging das LAG von folgenden Grundsätzen aus:  

„Billiges Ermessen“ und Sphärentheorie

Nach ständiger Rechtsprechung gehört die Frage, in welcher Kleidung der Arbeitnehmer seine Arbeitsleistung verrichtet, zum Inhalt der Arbeitsleistung und ist Weisungen des Arbeitgebers zugänglich (BAG, Urteil v. 10.10.2002 – 2 AZR 472/01; Urteil v. 02.11.2016 – 10 AZR 596/15; LAG Hamm, Urteil v. 17.02.2012 – 18 Sa 867/11). Der Arbeitgeber hat sein Weisungsrecht nach § 106 S. 1 GewO nach billigem Ermessen auszuüben. Dabei handelt es sich um einen unbestimmten Rechtsbegriff, der mit Leben gefüllt werden muss und inhaltlich durch die Grundrechte mitbestimmt wird. Im vorliegenden Fall hatten die Instanzen die grundrechtlich geschützte unternehmerische Betätigungsfreiheit des Arbeitgebers (Art. 12 Abs. 1 GG) gegen das allgemeine Persönlichkeitsrecht des Arbeitnehmers (Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG) abzuwägen. Im Rahmen dieser Abwägung ist die Intensität der mit Vorgabe einer bestimmten Arbeitskleidung verbundenen Freiheitsbeschränkung genauso zu berücksichtigen wie das Gewicht des mit dem Eingriff verfolgten Ziels (BAG, Urteil v. 10.10.2002 - 2 AZR 472/01). Die Intensität der Freiheitsbeschränkung wird dabei mit der durch die Rechtsprechung entwickelten Sphärentheorie erfasst. Danach ist zu unterscheiden, ob ein Eingriff in die Sozial-, Privat- oder sogar die Intimsphäre vorliegt. Dabei gilt: Je intensiver der Eingriff, desto höher die Anforderungen an seine Rechtfertigung.

Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze setzte sich das LAG mit den vom Arbeitgeber vorgetragenen Gründen für eine Tragepflicht von roten Arbeitsschutzhosen wie folgt auseinander:

1.     Corporate Identity – Ein betriebseinheitliches Erscheinungsbild der Beschäftigten führe zu einem erhöhten Wiedererkennungswert für Kunden und Geschäftspartner.

Dieses Argument hatte nach Auffassung des LAG nur eine untergeordnete Bedeutung, da der Kläger als Produktionsmitarbeiter nur selten Kontakt zu Kunden und Geschäftspartnern habe.

2.     Abgrenzungsfunktion – Eigene Mitarbeiter können unmittelbar erkannt und von Fremdmitarbeitern unterschieden werden.

Die Abgrenzungsfunktion zu Fremdmitarbeitern sei ein nachvollziehbarer sachlicher Grund.

3.     Arbeitsschutz – Rot diene als Signalfarbe und erhöhe aufgrund der Sichtbarkeit die Arbeitssicherheit. Zudem wiesen die zur Verfügung gestellten Arbeitsschutzhosen eine Schnittschutzklasse auf. Durch die Nutzungsvorgabe der Arbeitsschutzhosen sei ein einheitlicher Mindestschutz sichergestellt.

Nach Ansicht des LAG sei der Arbeitsschutz ein gewichtiges Argument. Die Farbe Rot sei als Signalfarbe üblich und anerkannt und verringere das Unfallrisiko mit den Gabelstaplern. Zudem könne durch die Sicherheitshosen ein einheitlicher Mindestschutz bzgl. der Schnittschutzklasse sichergestellt werden. Anderenfalls müsste der Arbeitgeber zu Beginn eines jeden Arbeitstags kontrollieren, ob die von den Beschäftigten getragenen Arbeitshosen den notwendigen Schutzstandard aufweisen. Den damit verbundenen Aufwand könne der Arbeitgeber sich ersparen, indem er einheitliche Arbeitsschutzhosen zur Verfügung stelle.

Die genannten Gründe überwogen die Interessen des Klägers an einer freien Auswahl seiner Arbeitskleidung. Die Vorgabe zum Tragen einer roten Arbeitsschutzhose berühre lediglich das ästhetische Empfinden des Klägers und damit dessen Sozialsphäre. Zudem konnte der Kläger seinen plötzlichen „Sinneswandel“ nicht plausibel erklären. Ebenso wenig konnte er ein ärztliches Attest vorlegen, aus dem sich medizinische Gründe für die von ihm behauptete Aversion gegen die Farbe „Rot“ ergeben.

Die Weisung des Arbeitgebers war daher rechtmäßig. Dementsprechend war die Weigerung des Klägers, die rote Arbeitsschutzhose zu tragen, als beharrliche Arbeitsverweigerung zu werten. Erschwerend war aus Sicht des LAG zu berücksichtigen, dass sich die Pflichtverletzungen des Klägers stets in der Betriebsöffentlichkeit abspielten, da der Kläger für andere Mitarbeiter erkennbar die Befolgung der Weisungen verweigerte und den Arbeitgeber damit offen herausforderte. Oder wie es der Vorsitzende Richter des Landesarbeitsgerichts in Richtung Kläger formulierte: „Sie haben die Situation sehenden Auges eskalieren lassen und Ihr Arbeitsverhältnis bewusst aufs Spiel gesetzt“.

Im Ergebnis war die ordentliche Kündigung aufgrund der beharrlichen Arbeitsverweigerung gerechtfertigt; es wäre sogar eine außerordentliche Kündigung in Betracht gekommen. 

Fazit

Auf den ersten Blick mag dieser Fall kurios erscheinen. Aus einer rechtlichen Perspektive war er dies jedoch nicht. Das erst- und zweitinstanzliche Gericht haben unter konsequenter Anwendung der gefestigten Rechtsprechung des BAG entschieden, dass die Weisung des Arbeitgebers rechtmäßig war und er auf die wiederholten Verstöße des Klägers mit Ausspruch der ordentlichen Kündigung angemessen reagiert hat. Dass es zwei Instanzen gebraucht hat, um dem Kläger seine Fehleinschätzung und die daraus folgende Konsequenz für sein Arbeitsverhältnis zu verdeutlichen, bleibt die eigentliche Kuriosität dieses Falls.

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