Gleicher Lohn für gleiche und gleichwertige Arbeit – die rechtlichen Grundlagen dieses Prinzips sind bereits seit Jahrzehnten in europäischen und deutschen Gesetzen verankert. Zuletzt hat der Gesetzgeber versucht, die tatsächliche Durchsetzung durch das Inkrafttreten des Entgeltransparenzgesetzes (EntgTranspG) im Jahr 2017 zu stärken. Dennoch wird auch in diesem Jahr erst am 7. März der Equal Pay Day stattfinden – der Tag also, bis zu dem weibliche Arbeitnehmerinnen in Deutschland statistisch betrachtet „unbezahlt“ arbeiten, wenn man die die unbereinigte Gender Pay Gap von ca. 18 % zugrunde legt.
Das Bundesarbeitsgericht hat aber nun bereits am 16. Februar 2023 (Az. 8 AZR 450/21) eine weitere wichtige Entscheidung in Sachen Entgeltgleichheit getroffen und dabei unter anderem dazu ausgeführt, ob und wie eine ungleiche Bezahlung ausnahmsweise gerechtfertigt werden kann. Die Entscheidung setzt für Arbeitgeber in Deutschland weitere Grundlagen der Entgeltfestsetzung fest – und wirft dabei zusätzliche Folgefragen auf.
Der zugrunde liegende Sachverhalt und das bisherige Verfahren
Der noch nicht im Volltext vorliegenden Entscheidung liegt gemäß Pressemitteilung des Bundesarbeitsgerichts der folgende Sachverhalt zugrunde:
Die Klägerin war ab dem 1. März 2017 bei der Beklagten als Außendienstmitarbeiterin im Vertrieb beschäftigt. Einzelvertraglich war ein Grundentgelt von zunächst 3.500,00 Euro brutto vereinbart. Ab dem 1. August 2018 richtete sich ihre Vergütung nach einem Haustarifvertrag mit einem neuen Eingruppierungssystem. Die für die Tätigkeit der Klägerin maßgebliche Entgeltgruppe des Haustarifvertrags sah ein Grundentgelt iHv. 4.140,00 Euro brutto vor. Der Haustarifvertrag sah weiterhin eine Deckelungsregelung vor, nach der die Anpassung nicht mehr als 120,00 €/brutto in den Jahren 2018 bis 2020 betragen sollte. Auf dieser Grundlage zahlte die Beklagte der Klägerin ab dem 1. August 2018 ein Grundentgelt iHv. 3.620,00 Euro brutto, das in jährlichen Schritten weiter angehoben werden sollte.
Neben der Klägerin waren als Außendienstmitarbeiter im Vertrieb der Beklagten auch zwei männliche Arbeitnehmer beschäftigt. Während der eine Kollege bereits seit 1985 bei der Beklagten beschäftigt war, hatte der andere nur kurz vor der Klägerin, nämlich am 1. Januar 2017 begonnen zu arbeiten. Die Beklagte hatte auch diesem neuen Arbeitnehmer zunächst ein Grundentgelt iHv. 3.500,00 Euro brutto angeboten – er war allerdings zu diesen Konditionen nicht bereit, das Angebot anzunehmen. Er verlangte für die Zeit bis zum Einsetzen einer zusätzlichen leistungsabhängigen Vergütung, d.h. für die Zeit bis zum 31. Oktober 2018 ein höheres Grundentgelt iHv. 4.500,00 Euro brutto. Um den Arbeitnehmer für sich gewinnen zu können, ging die Beklagte auf diesen zu und vereinbarte mit ihm ab dem 1. Juli 2018 eine Erhöhung des Grundentgelts auf 4.000,00 Euro brutto. Die Beklagte begründete diesen Schritt u.a. damit, dass der Arbeitnehmer einer ausgeschiedenen, besser vergüteten Vertriebsmitarbeiterin nachgefolgt sei. Ab dem 1. August 2018 zahlte die Beklagte dem männlichen Arbeitnehmer dann ein tarifvertragliches Grundentgelt nach derselben Entgeltgruppe wie der Klägerin, dass sich in Anwendung der „Deckelungsregelung“ des Haustarifvertrags auf 4.120,00 Euro brutto belief.
Die Klägerin klagte auf Zahlung rückständiger Vergütung für die Zeit von März bis Oktober 2017 iHv. monatlich 1.000,00 Euro brutto, rückständige Vergütung für den Monat Juli 2017 iHv. 500,00 Euro brutto sowie rückständige Vergütung für die Zeit von August 2018 bis Juli 2019 iHv. monatlich 500,00 Euro brutto. Zudem verlangte sie eine Entschädigung iHv. mindestens 6.000,00 Euro.
Sowohl das Arbeitsgericht Dresden (Urteil vom 4. Oktober 2019, 5 Ca 638/19) als auch das Sächsisches Landesarbeitsgericht (Urteil vom 3. September 2021 – 1 Sa 358/19) hatten die Klage mit Verweis auf das Vorliegen eines objektiven Grundes für die ungleiche Entlohnung abgelehnt. Dieser bestehe in dem Interesse der Beklagten an der Gewinnung des Mitarbeiters.
Die Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts
Dem hat das Bundesarbeitsgericht nun aber eine klare Absage erteilt und eine geschlechtsbedingte Entgeltdiskriminierung festgestellt. Die Beklagte habe die Klägerin dadurch benachteiligt, „dass sie ihr, obgleich die Klägerin und der männliche Kollege gleiche Arbeit verrichteten, ein niedrigeres Grundentgelt gezahlt hat als dem männlichen Kollegen.“ Diese begründe eine Vermutung nach § 22 AGG – die unterschiedliche Bezahlung indiziere mithin eine Geschlechtsdiskriminierung, die die Beweislast zulasten der Beklagten verlagert. Aus Art. 157 AEUV, § 3 Abs. 1 und § 7 EntgTranspG folge daher ein Anspruch auf eine „Anpassung nach oben“. Die Vermutung des § 22 AGG konnte die Beklagte nicht dadurch widerlegen, dass das höhere Grundentgelt des männlichen Kollegen nicht auf dem Geschlecht, sondern auf dem Umstand beruhe, dass dieser ein höheres Entgelt ausgehandelt habe. Die Rechtfertigung, der Arbeitnehmer sei einer besser vergüteten ausgeschiedenen Arbeitnehmerin nachgefolgt, lehnte das Bundesarbeitsgericht ebenfalls ab.
Neben der Nachzahlung der Vergütung verurteilte das Bundesarbeitsgericht die Beklagte zudem noch auf Zahlung einer Entschädigung nach § 15 Abs. 2 AGG, die mit 2.000,00 Euro jedoch deutlich geringer ausfiel als beantragt.
Eine Einordnung – Die bisherige Rechtsprechung, geltende Rechtslage
Klagen rund um das Thema Entgeltgleichheit hatten in Deutschland jahrzehntelang Ausnahmecharakter. Seit Inkrafttreten des Entgelttransparenzgesetzes hat das Bundesarbeitsgericht in jüngerer Zeit jedoch bereits mehrfach u.a. zur Vermutungswirkung des Medianentgelts (BAG, Urteil vom 21. Januar 2021 – 8 AZR 488/19) und zur Reichweite des Auskunftsanspruchs (BAG, Urteil vom 25. Juni 2020 – 8 AZR 145/19) entschieden.
Nach § 7 EntgTranspG darf für gleiche oder für gleichwertige Arbeit nicht wegen des Geschlechts der oder des Beschäftigten ein geringeres Entgelt vereinbart oder gezahlt werden als bei einer oder einem Beschäftigten des anderen Geschlechts. Eine unmittelbare Benachteiligung wegen des Geschlechts hinsichtlich des Entgelts ist in jedem Fall unzulässig. Eine mittelbare Entgeltbenachteiligung kann aber nach § 4 Abs. 3 EntgTranspG gerechtfertigt sein, wenn dies durch ein rechtmäßiges Ziel sachlich gerechtfertigt und die Mittel zur Erreichung dieses Ziels angemessen und erforderlich sind. Insbesondere arbeitsmarkt-, leistungs- und arbeitsergebnisbezogene Kriterien können ein unterschiedliches Entgelt rechtfertigen, sofern der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit beachtet wird. Die Tatsache, dass ein Kollege vermeintlich „besser“ verhandelt hat oder zum Ersatz für eine besser bezahlte Kollegin eingestellt wurde, erfüllt diese Anforderungen nach der neuen Rechtsprechung nicht.
Eine klare höchstrichterliche Aussage fehlte hierzu bislang. Der EuGH hatte sich in der Rechtssache Enderby lediglich dahingehend eingelassen, dass die Frage, ob ein Mangel an Bewerbern und die Notwendigkeit zur Besetzung der Stelle ein höheres Gehalt zu bieten, eine Rechtfertigung darstellen könne, durch die nationalen Gerichte zu beurteilen sei (EuGH, Urteil vom 27. Oktober 1993 – C-127/92). Gemessen an diesen Fingerzeigen ist die neue Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts jedoch wenig überraschend: Eine Mangellage kommt grundsätzlich nur bei gleichwertigen Tätigkeiten als Rechtfertigungsgrund in Betracht – gleiche Tätigkeiten würden schließlich stets derselben Mangellage unterliegen. Vorliegend hat das Bundesarbeitsgericht der Pressemitteilung nach zu urteilen eine gleiche Tätigkeit angenommen (die Vorinstanz hatte noch eine gleichwertige Tätigkeit angenommen). Zudem hat die Beklagte soweit ersichtlich nicht dargestellt, dass eine solche Mangellage bestand, dass sie sich gezwungen sah, den Kollegen der Klägerin höher zu entlohnen, weil sie sonst die Stelle nicht angemessen besetzen hätte können.
Konsequenzen für Arbeitgeber und offene Fragen
Klar ist nach der vorliegenden Pressemitteilung, dass die bloße Tatsache, dass ein männlicher Kollege ein höheres Entgelt verlangt hat, nicht ausreicht, um eine gegenüber einer weiblichen Kollegin höhere Vergütung zu rechtfertigen, die eine gleiche oder gleichwertige Arbeit verrichtet. Dies würde natürlich auch im umgekehrten Fall gelten. Weiter ist davon auszugehen, dass die Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts nicht anders ausgefallen wäre, wenn die Klägerin zuerst eingestellt worden wäre und nicht wie hier erst nach ihrem Kollegen. Konsequenz ist also auch bei unterschiedlichen Gehaltsverhandlungen grundsätzlich die Pflicht zur Angleichung der Entgelte. Nicht abschließend geklärt bleiben aus unserer Sicht insbesondere jedoch zunächst folgende Fragen:
Verwässert die Vermutungswirkung, wenn zwischen den Einstellungen längere zeitliche Abstände liegen, ggf. unter Einbeziehung des Kriteriums der Betriebszugehörigkeit? Dafür spricht, dass das Bundesarbeitsgericht augenscheinlich nur eine ungerechtfertigte Ungleichbehandlung im Verhältnis zu dem unmittelbar zuvor eingestellten Kollegen angenommen hat – nicht aber zu dem Kollegen mit rund 30 Jahren Betriebszugehörigkeit.
Müssen Arbeitgeber nach jeder erfolgreichen Gehaltsverhandlung auch die Entgelte der Kollegen mit gleicher und gleichwertiger Arbeit anheben? Davon ist unter den vorgenannten Einschränkungen grundsätzlich auszugehen.
Welche Auswirkungen hat die Entscheidung auf tarifvertraglich vereinbarte Entgelte? Relevant dürfte dies insbesondere in Unternehmen sein, die an mehrere Tarifverträge unterschiedlicher Gewerkschaften gebunden sind. Hier wird sich schon die vorgelagerte Frage stellen, welche Maßstäbe sich für die Bestimmung der Gleichwertigkeit heranziehen lassen.
Fazit und Ausblick
Für weitere Details – auch hinsichtlich der Verteilung der Darlegungs- und Beweislast – gilt es die ausführlichen Urteilsgründe abzuwarten. Bis dahin sollten Arbeitgeber aber bereits bei Gehaltsverhandlungen sorgfältig beachten, aus welchen Gründen bestimmten Arbeitnehmern letztlich mehr gezahlt wird. Das Verhandlungsgeschick allein rechtfertigt eine höhere Vergütung nicht. Verwandte Argumente dürften etwa lauten „Diese Person ist ein besonderes Talent – mit der niedrigeren Vergütung wären wir nicht konkurrenzfähig“ oder „Diese Person hat eine besondere Qualifikation“. In diesen Fällen dürfte oft bereits keine gleiche bzw. gleichwertige Tätigkeit vorliegen: Sind die besonderen Fähigkeiten oder Qualifikationen entscheidend, um die Tätigkeit auszuführen, handelt es sich bereits um eine höherwertigere Tätigkeit und eine Rechtfertigung ist nicht erforderlich. Ist dies nicht der Fall kommt eine höhere Vergütung per se nicht in Betracht. Vergütungsanreize lassen sich hier gesetzeskonform setzen, indem Differenzierungen über leistungs- und arbeitsergebnisorientierte Vergütungsbestandteile getroffene werden.