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„Musst Du jetzt gerade gehen, Lucille…“ Amtsniederlegung und Vertragsauflösung zur Unzeit

lit_portraits_840x840px_rohrborn_02.png Dr. Stefan Röhrborn

November 2021

Lesedauer: Min

Unbedachtes Handeln kann Schadenersatzforderungen nach sich ziehen

Fragestellung
Wer hat nicht selbst schon einmal darüber nachgedacht, das Weite zu suchen, den bisherigen Job einfach zu kündigen, das Amt niederzulegen und von jetzt auf gleich zu neuen Ufern aufzubrechen? Wenn dieser Gedanke nicht nur eine vorübergehende Laune ist, sondern ein konkreter Plan, dann muss dessen Umsetzung sehr wohl überlegt sein.

Können Geschäftsführer und Vorstand das Unternehmen einfach so verlassen, mit kurzer Frist oder gar fristlos? Das Zivilrecht kennt an mehreren Stellen den Begriff der Unzeit. Eine gesetzliche Definition des Begriffs der Unzeit gibt es allerdings nicht. Er ist für Geschäftsführer und Vorstände dennoch von erheblicher Bedeutung. Liegt eine Amtsniederlegung oder Kündigung zur Unzeit vor, kann dies Schadensersatzansprüche wegen Verletzung besonderer Treuepflichten nach sich ziehen. 

Verträge sind einzuhalten
Verträge sind einzuhalten, von allen Parteien, also auch von Geschäftsführer und Vorstand. Wenn Kündigungsfristen oder feste Vertragslaufzeiten vereinbart sind, dann muss sich nicht nur die Gesellschaft an diese halten, sondern - natürlich – auch ein Vorstand oder ein Geschäftsführer. Eine fristlose Vertragsauflösung kann durch den Geschäftsführer oder Vorstand nur dann einseitig herbeigeführt werden, wenn ein wichtiger Grund hierfür vorliegt. An diesen wichtigen Grund sind sehr hohe Anforderungen zu stellen, weil die Einstellung der Tätigkeit des Organs von jetzt auf gleich regelmäßig zu erheblichen operativen, rechtlichen und wirtschaftlichen Schwierigkeiten für die Gesellschaft führt. Nur schwere Vertragsverletzungen seitens der Gesellschaft können einen wichtigen Grund für eine fristlose Kündigung darstellen. 

Kündigt das Organ den Vertrag fristlos, ohne dass hierfür ein Grund vorliegt, so kann die Gesellschaft nach § 628 BGB Schadensersatz verlangen (Auflösungsschaden). Erfolgt die Kündigung darüber hinaus zur Unzeit, kann die Gesellschaft über den Auflösungsschaden hinaus auch weiteren Schadensersatz verlangen, wenn dem Organ zuzumuten gewesen wäre, mit der Kündigung noch abzuwarten und somit weiteren Schaden abzuwenden. 

Außerdem kann die Gesellschaft vom Geschäftsführer/Vorstand bei Nichtvorliegen eines wichtigen Grundes verlangen, dass dieser bis zum nächstmöglichen ordentlichen Vertragsende nicht zur Konkurrenz wechselt. Das vertragliche Wettbewerbsverbot wirkt über die unberechtigte fristlose Eigenkündigung hinaus fort. Dies ist eine vom kündigenden Organ häufig übersehene Falle. 

Amtsniederlegung ist immer wirksam
Die Amtsniederlegung durch den Vorstand oder Geschäftsführer ist nicht an das Vorliegen eines wichtigen Grundes gebunden. Legt das Organ das Amt nieder, ist die Niederlegung sofort wirksam, auch wenn kein wichtiger Grund hierfür vorliegt. Allerdings ist das Vorliegen eines wichtigen Grundes für die Amtsniederlegung insofern wichtig, als sich hieran Rechtsfolgen knüpfen. Liegt kein Grund zur Amtsniederlegung vor, kann dies Schadensersatzansprüche für die Gesellschaft auslösen. Hierzu gehören beispielsweise Kosten für Interimsmanagement, Vertragsstrafen, die das Unternehmen an Geschäftspartner wegen Verfristung etc. zu leisten hat. Zwar muss sich die geschädigte Gesellschaft die ersparten Bezüge des abtrünnigen Geschäftsführers/Vorstands anrechnen lassen, jedoch gehen die Kosten für den Auflösungs- und Verfrühungsschaden regelmäßig weit darüber hinaus. 

Liegt zudem eine Niederlegung zur Unzeit vor, sind über den bloßen Auflösungs- und Verfrühungsschaden hinausgehende Schadensersatzansprüche zugunsten der Gesellschaft denkbar. Außerdem kann die unbegründete Amtsniederlegung einen Grund zur fristlosen Kündigung des Dienstvertrags darstellen, wiederum mit Schadensersatzfolgen für den Geschäftsführer/Vorstand.

Kein Versicherungsschutz
Liegt eine Amtsniederlegung und/oder Kündigung zur Unzeit vor und löst dieses Verhalten Schadensersatzansprüche der Gesellschaft gegen das Organ aus, so sind diese Ansprüche der Gesellschaft gerade nicht durch die regelmäßig zugunsten des Organs bestehende D&O Versicherung abgedeckt. Die Versicherung ist bei wissentlicher Pflichtverletzung nicht eintrittspflichtig. Das Organ kann sich bei seinem Hau-Ruck-Verhalten also nicht auf Versicherungsschutz verlassen. 

Wettbewerbsverstoß
Dasselbe gilt für den Fall, dass z.B. das Wettbewerbsunternehmen, das den Vorstand/Geschäftsführer abgeworben hat, zusichert, etwaige Schäden beim früheren Dienstherrn abzudecken, wenn das Organ von jetzt auf gleich die Brocken hinschmeißt und zur Konkurrenz wechselt. Ein derartiges Verhalten wäre nicht nur auf Seiten des Vorstands/Geschäftsführers vertragswidrig, sondern auf Seiten des einstellenden Konkurrenzunternehmens auch erheblich wettbewerbswidrig. Empfindliche Strafen und Unterlassungsansprüche drohen!

Niederlegung und Kündigung zur Unzeit sind Rechtsmissbrauch 
Das Gesetz kennt keine Definition des Begriffs „Unzeit“. Die Rechtsprechung hat zahlreiche Fälle entschieden, in denen die Amtsniederlegung und die fristlose Eigenkündigung zur Unzeit angenommen wurden. So findet etwa eine Amtsniederlegung in einer schweren Unternehmenskrise, bei Insolvenznähe, insbesondere dann, wenn der niederlegende Geschäftsführer oder Vorstand der einzige Geschäftsführer oder Vorstand ist, zur Unzeit statt und ist daher rechtsmissbräuchlich. Immer dann, wenn die Gesellschaft nicht in der Lage ist, sich die dringend benötigten Dienste des Geschäftsführers oder Vorstands kurzfristig anderweitig zu besorgen, ist der Tatbestand „zur Unzeit“ erfüllt. Allerdings können Aktiengesellschaften von Gesetzes wegen Aufsichtsratsmitglieder vorübergehend zu Vorständen berufen, so dass gerade bei der AG zumeist eine weitgehend lückenlose Nachbesetzung der Vorstandsposition möglich ist. 

Kein Rechtsmissbrauch bei Vorliegen eines wichtigen Grundes
Steht dem Geschäftsführer oder dem Vorstand ein wichtiger Grund für die Amtsniederlegung und fristlose Kündigung des Dienstvertrags zur Seite, schließt die Rechtsprechung das Merkmal zur Unzeit aus. Verhält sich also die Gesellschaft derart vertrags- oder rechtswidrig gegenüber Geschäftsführer oder Vorstand, dass ein wichtiger Grund zur Amtsniederlegung oder Kündigung vorliegt, kann die Gesellschaft nicht den Einwand des Rechtsmissbrauchs erheben. Einen Schadensersatzanspruch kann die Gesellschaft dann nicht geltend machen.

Allerdings stellt sich erst im Schadensersatzprozess rechtssicher heraus, ob die Amtsniederlegung oder Eigenkündigung des Organs von einem wichtigen Grund getragen war. Eine Prognose zum Niederlegungs- oder Kündigungszeitpunkt bezüglich des Vorliegens eines wichtigen Grundes abzugeben, dürfte kaum seriös möglich sein. 

Fazit:
Die sofortige Niederlegung des Geschäftsführungs- und Vorstandsamts und die fristlose Eigenkündigung des Dienstvertrags müssen sehr wohl überlegt sein, insbesondere dann wenn das Unternehmen in einer Krise steckt. Unbedachtes Handeln kann nicht nur Schadensersatz nach sich ziehen, sondern auch Wettbewerbsbeschränkungen. Etwaige Schadensersatzansprüche der Gesellschaft gegenüber Geschäftsführer und Vorstand sind nicht von der D&O Versicherung abgedeckt.

Wichtig ist, dass auch die rechtsmissbräuchlich, also zur Unzeit erfolgte Amtsniederlegung und Kündigung rechtswirksam sind, allerdings mit erheblichen Schadensersatzfolgen.

Die einvernehmliche Trennung ist daher stets der vorzugswürdige Weg, nicht zuletzt auch deshalb, weil sich der neue Dienstherr berechtigter Weise die Frage stellen wird: Wird mich der Geschäftsführer/Vorstand irgendwann auch einmal unter Vertragsbruch verlassen?