Ein Blick auf die Entscheidung des BAG vom 21. November 2017
Umso größer ein Konzern wird, desto mehr Mitbestimmung wird häufig vom Betriebsrat eingefordert. Doch mit der Größe des Konzerns wächst auch die Komplexität der mitbestimmungsrechtlichen Fragen. Welche Mitbestimmungsrechte des Betriebsrats einer Tochtergesellschaft bestehen aber überhaupt, wenn die ausländische Konzernmutter z.B. Personalfragebögen global verteilt? In derartigen Konstellationen kann es zu der eigentümlichen Situation kommen, dass sich der lokale Arbeitgeber den Beschwerden des Betriebsrats ausgesetzt sieht und keine Ahnung hat, wovon der Betriebsrat eigentlich spricht. Obwohl dieses Phänomen in globalen Konzernen gar nicht so selten vorkommen dürfte, ist die Rechtsprechung hierzu sehr überschaubar. In der Entscheidung vom 21.11.2017 (Az.: 1 ABR 47/17) beschäftigte sich das BAG mit einer konzernweiten Mitarbeiterbefragung – eine Entscheidung, die im betrieblichen Alltag durchaus brisant sein kann.
Der Fall
Die Konzernmutter (ein Universitätsklinikum) führte eine konzernweite Mitarbeiterbefragung durch und versandte zu diesem Zweck an die Mitarbeiter aller Tochtergesellschaften (verschiedene Kliniken) per Post einen anonymisierten und freiwilligen Fragebogen zu Themen der Arbeitsbedingungen, Krankenhausleitung, Mitarbeitervertretung und zur sonstigen internen Organisation. Der lokale Betriebsrat einer der Tochtergesellschaften (ein Herzklinikum) wollte nun gegen die Maßnahme der Konzernmutter vorgehen und forderte von dem Herzklinikum auf der Basis des Mitbestimmungsrechts bei Personalfragebögen gem. § 94 Abs. 1 BetrVG sowie bei Regelungen zum Gesundheitsschutz (Gefährdungsprognose) gem. § 87 Abs. 1 Nr. 7 BetrVG das Unterlassen der Maßnahme.
Die Entscheidung
Das BAG entschied mangels eines einschlägigen Mitbestimmungsrechts gegen den lokalen Betriebsrat. Bei dem Verwenden eines anonymisierten und freiwilligen Fragebogens im Rahmen einer Mitarbeiterbefragung durch die Konzernmutter handelte es sich (1.) nicht um eine Maßnahme des lokalen Arbeitgebers und (2.) ohnehin weder um eine mitbestimmungspflichtige Maßnahme des Gesundheitsschutzes noch um einen zustimmungspflichtigen Personalfragebogen.
Kein Maßnahmenträger = keine Mitbestimmung
Zunächst stellte das BAG klar, dass das Herzklinikum als Konzerntochter kein Maßnahmenträger der Mitarbeiterbefragung war. Insbesondere wurde die Maßnahme der Konzernmutter nicht auf betrieblicher Ebene durch die Tochtergesellschaft durchgesetzt. Stattdessen erfolgte die Befragung direkt per Post an die Mitarbeiter. An diesem Punkt kann bereits der erste Grundsatz der ständigen BAG-Rechtsprechung festgehalten werden: „Die lokalen Mitbestimmungsrechte finden nur Anwendung, wenn der lokale Arbeitgeber auch Leitungsmacht ausübt“. Im vorliegenden Fall hatte der lokale Arbeitgeber keinerlei Gestaltungsspielraum und übte daher auch keine Leitungsmacht aus. Ein lokales Mitbestimmungsrecht scheiterte bereits daran.
Dieser Grundsatz wird in der Rechtsprechung auch im Falle von globalen Aktienoptionsprogrammen einer ausländischen Konzernmutter angewendet. Gerichte stellten bereits verschiedentlich klar (so u.a. Hessisches LAG vom 03.08.2017 – 5 TaBV 23/17 und LAG Bremen vom 27.07.2016 – 3 TaBV 2/16), dass ein Mitbestimmungsrecht des lokalen Betriebsrats nur dann bestehen kann, wenn der lokale Arbeitgeber bei der Konzernmutter Einfluss auf die variable Vergütung nehmen könne. Laut den Gerichten komme ein Mitbestimmungsrecht bei der Lohngestaltung nicht zur Anwendung, soweit kein Gestaltungsspielraum des lokalen Arbeitgebers bestehe.
In welchen Fällen in diesem Zusammenhang ein Ausüben der Leitungsmacht des lokalen Arbeitgebers angenommen wird, ist in der Rechtsprechung noch nicht abschließend geklärt. Das LAG Hessen nahm 2001 ein Ausüben von Leitungsmacht bereits dann an, wenn Fragebögen der Konzernmutter mittels E-Mails/Intranet über die EDV-Anlagen der Konzerntochter beantwortet wurden. Durch die Bereitstellung von Betriebsmitteln habe die Konzerntochter einen Gestaltungsspielraum gehabt und infolge dessen Leitungsmacht ausgeübt. Die Arbeitgeberin stehe nicht nur in einem Abhängigkeitsverhältnis zur amerikanischen Muttergesellschaft, sondern auch zur deutschen Rechtsordnung und müsse die Inhalte des Fragebogens vorab ermitteln und mitstimmen lassen. Dieser Entscheidung dürfte spätestens durch das BAG-Urteil vom 21.11.2017 (a.a.O.) der Boden entzogen worden sein. Denn nach dieser scheitere die Mitbestimmung bereits daran, dass es sich nicht um eine Maßnahme des lokalen Arbeitgebers handelte und dieser keine inhaltlichen Einflussmöglichkeiten hatte. Allein die Nutzung von Intranet (das übrigens häufig auch durch die Konzernmutter betrieben wird) und E-Mail kann in der Arbeitswelt 4.0 keinen Unterschied machen.
Unverändert richtig ist hingegen, dass sich ein Arbeitgeber der betrieblichen Mitbestimmung nicht dadurch entziehen kann, dass er die mitbestimmungsrelevante Maßnahme durch einen Dritten (z.B. eine Agentur) durchführen lässt (siehe nur BAG vom 30.09.2014, Az.: 1 ABR 106/12). Denn dann wird der Dritte auf Geheiß des Arbeitgebers tätig.
Anonymität und Freiwilligkeit schließen Mitbestimmungsrechte aus
Das BAG entschied weiterhin, dass es sich bei der Mitarbeiterbefragung ohnehin nicht um eine Gefährdungsbeurteilung im Sinne des § 87 Abs. 1 Nr. 7 i.V.m. § 5 ArbSchG handele. Eine Gefährdungsbeurteilung diene als Instrument der Beurteilung von Arbeitsbedingungen der Überprüfung, ob und ggf. welche Gefährdungen für die Beschäftigten bei ihrer Tätigkeit bestehen könnten. Diesem Schutzzweck könne ein anonymisierter und freiwilliger Fragebogen nicht erfüllen, weil er keine Rückschlüsse auf die spezifischen Arbeitsbereiche zulasse und dadurch nicht zur Realisierung von Verbesserungen beitragen könne.
Zudem liege kein zustimmungspflichtiger Personalfragebogen im Sinne von § 94 Abs. 1 BetrVG vor, weil ein anonymisierter und freiwilliger Fragebogen nicht zu einer Verletzung des Persönlichkeitsrechts führen könne. Davor solle das Mitbestimmungsrecht aber gerade schützen.
Datenschutzverstöße sind durch Mitarbeiter selbst geltend zu machen
Schließlich stellte sich bei der Entscheidung auch noch die Frage, inwieweit datenschutzrechtliche Belange durch den Betriebsrat geltend gemacht werden können. Hierzu konstatierte das BAG, dass der Betriebsrat keine datenschutzrechtlichen Verstöße im Namen der Mitarbeiter geltend machen könne. Vermeintliche Verstöße gegen die DSGVO müssten demnach aufgrund ihrer Höchstpersönlichkeit durch die Mitarbeiter selbst geltend gemacht werden.
Fazit und Hinweise für die Praxis
1. Die wichtigste Erkenntnis der Entscheidung: der lokale Betriebsrat kann kein Mitbestimmungsrecht haben, wenn die Tochtergesellschaft keine Entscheidungsmacht ausübt, keinen Einfluss auf die ausländische Konzernmutter sowie keinen Entscheidungsspielraum hat und an der Umsetzung der von der Konzernmutter getroffenen Entscheidung nicht beteiligt ist. Die Tochtergesellschaft ist in einem solchen Fall - trotz Arbeitgeberstellung – schlicht unbeteiligt.
2. Weiterhin hebt die Entscheidung die Merkmale der Anonymität und der Freiwilligkeit als wesentliche Kriterien für das Nichtvorliegen eines Mitbestimmungsrechts nach § 94 BetrVG hervor.
3. Als letzten Punkt sollte man im Hinterkopf behalten, dass der Arbeitgeber die Mitbestimmung nicht faktisch untergraben darf, indem er sich bei der Entscheidung und Durchführung der Maßnahmen eines Dritten bedient.