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Nach der Wahl ist vor der Wahl – Betriebsratswahlen 2022

van_portraits_840x840px_10_einhaus.png Jan Einhaus

Oktober 2021

Lesedauer: Min

Arbeitgeber sollten sich rechtzeitig mit den Voraussetzungen und Regularien vertraut machen

Das im Juni 2021 in Kraft getretene sog. Betriebsrätemodernisierungsgesetz hat bereits zahlreiche Änderungen mit sich gebracht, in Kürze wird auch die geänderte Wahlordnung zur Durchführung des Betriebsverfassungsgesetzes (BetrVG) verkündet und rechtzeitig zur Betriebsratswahl 2022 in Kraft treten. 

Interesse des Arbeitgebers an einer geordneten und wirksamen Betriebsratswahl
Die Betriebsratswahl ist der Sache nach eine Wahl der Arbeitnehmer, die vom Arbeitgeber zwar zu finanzieren, jedoch ansonsten grundsätzlich neutral zu begleiten ist. Trotzdem hat der Arbeitgeber regelmäßig ein Interesse am ordnungsgemäßen Ablauf der Wahl. Eine fehlerhafte Wahl kann zur Anfechtung und in schwerwiegenden Fällen sogar zur Nichtigkeit der Wahl führen. In diesem Fall wäre das aufwendige Wahlverfahren zu wiederholen, was zu noch höheren Kosten für den Arbeitgeber führte. Zudem hat der Arbeitgeber regelmäßig ein Interesse an klaren und stabilen Verhältnissen in der täglichen Zusammenarbeit der Betriebsparteien. 

Änderungen durch das Betriebsrätemodernisierungsgesetz 
Der gesetzgeberische Zweck des Betriebsrätemodernisierungsgesetzes ist die Förderung der Gründung von Betriebsräten. 

Arbeitgeber in Betrieben mit bestehenden Betriebsräten, jedoch auch Arbeitgeber in Betrieben, in denen noch keine Betriebsräte gewählt wurden, müssen sich künftig darauf einstellen, dass die Gründung von Betriebsräten, das Wahlverfahren und der hiermit im Zusammenhang stehende Sonderkündigungsschutz ausgeweitet und erleichtert werden. So wurde beispielsweise das Lebensalter zur Wahlberechtigung herabgesetzt, der Anwendungsbereich des sogenannten vereinfachten Wahlverfahrens ausgeweitet und der Sonderkündigungsschutz auf Arbeitnehmer ausgeweitet, die die Betriebsratswahl vorbereiten und einleiten. Die wesentlichen Neuerungen sehen folgendermaßen aus:

Aktives Wahlrecht ab 16 Jahren

Das Lebensalter zur Wahlberechtigung wurde von 18 auf 16 Jahre herabgesetzt. Künftig sind alle Arbeitnehmer, die das 16. Lebensjahr vollendet haben, berechtigt, an der Betriebsratswahl teilzunehmen (§ 7 BetrVG). Das passive Wahlrecht bleibt hingegen unverändert. Wählbar sind daher weiterhin nur Arbeitnehmer, die das 18. Lebensjahr vollendet haben (§ 8 BetrVG). Durch das gesenkte Lebensalter zur Wahlberechtigung werden daher künftig mehr Arbeitnehmer an der Betriebsratswahl teilnehmen.

Ausweitung des vereinfachten Wahlverfahrens

Das sog. vereinfachte Wahlverfahren findet nun Anwendung auf Betrieben mit in der Regel 5 bis 100 wahlberechtigten Arbeitnehmern (§ 14a BetrVG). In Betrieben mit in der Regel 101 bis 200 wahlberechtigten Arbeitnehmern können der Wahlvorstand und der Arbeitgeber die Anwendung des vereinfachten Wahlverfahrens vereinbaren. Es ist daher davon auszugehen, dass für viele Betriebe mit weniger als in der Regel 200 wahlberechtigten Arbeitnehmern die kommende Betriebsratswahl deutlich schneller durchgeführt werden kann als noch bei der letzten Betriebsratswahl 2018. Die gesetzgeberische Bezeichnung als „vereinfachtes“ Wahlverfahren ist nämlich etwas irreführend. Der Sache nach wird die Betriebsratswahl vor allem zeitlich beschleunigt, das Verfahren der Wahl selbst ist jedoch weiterhin nicht bedeutend einfacher als das sogenannte reguläre Wahlverfahren.

Ausweitung des Sonderkündigungsschutzes bei Gründung eines Betriebsrats

Der Sonderkündigungsschutz im Zusammenhang mit einer Betriebsratsgründung wird ausgeweitet. Statt bisher drei genießen nunmehr die ersten sechs Arbeitnehmer, die in der Einladung zur Wahlversammlung aufgeführt sind, einen gesetzlichen Sonderkündigungsschutz, der lediglich eine Kündigung aus wichtigem Grund ermöglicht (§ 15 Abs. 3a KSchG). Hintergrund für die Ausweitung des Kündigungsschutzes ist, dass die ersten drei Arbeitnehmer, die zur Wahlversammlung einladen, erfahrungsgemäß regelmäßig auch den dreiköpfigen Wahlvorstand bilden. Fällt eine dieser Personen etwa aufgrund von Krankheit aus, sollen Kollegen nicht wegen eines fehlenden Kündigungsschutzes von dem Engagement für die Betriebsratswahl als Nachrücker abgehalten werden.

Durch den neuen § 15 Abs. 3b KSchG wird der gesetzliche Sonderkündigungsschutz auf Arbeitnehmer erweitert, die Vorbereitungshandlungen zur erstmaligen Errichtung eines Betriebsrats unternommen haben. Lediglich ordentliche betriebsbedingte Kündigungen bleiben möglich, ebenso eine Kündigung aus wichtigem Grund. Zur Erlangung dieses Sonderkündigungsschutzes ist es erforderlich, dass eine öffentlich beglaubigte Erklärung abgegeben wird, dass der Arbeitnehmer beabsichtige, einen Betriebsrat zu errichten. Als Vorbereitungshandlung gilt nach der Gesetzesbegründung beispielsweise ein Gespräch mit Kollegen zur Ermittlung der Bereitschaft und Unterstützung, einen Betriebsrat zu gründen und um weitere Schritte zu planen. Die öffentlich beglaubigte Erklärung muss gemäß § 129 BGB schriftlich abgefasst und die Unterschrift des Erklärenden von einem Notar beglaubigt werden. Zeitlich beginnt der Kündigungsschutz mit der Beglaubigung der Unterschrift unter der Absichtserklärung bis zum Zeitpunkt der Einladung zu einer Betriebs- oder Wahlversammlung, längstens jedoch für drei Monate.

Keine Stützunterschriften mehr in kleinen Betrieben

Zur Vereinfachung der Formalitäten einer Betriebsratswahl und damit zur Erleichterung und Förderung von Betriebsratsgründungen im Allgemeinen in kleineren und mittleren Betrieben benötigen künftig Wahlvorschläge in Betrieben mit in der Regel bis zu 20 wahlberechtigten Arbeitnehmern keiner Unterzeichnung (sogenannte Stützunterschrift) mehr. In Betrieben mit in der Regel 21 bis 100 wahlberechtigten Arbeitnehmern sind Wahlvorschläge von mindestens zwei wahlberechtigten Arbeitnehmern zu unterzeichnen, in Betrieben mit in der Regel mehr als 100 wahlberechtigten Arbeitnehmern von mindestens 1/20 der wahlberechtigten Arbeitnehmern. Weiterhin genügt in jedem Fall die Unterzeichnung durch 50 wahlberechtigte Arbeitnehmer. Bisher war in Betrieben mit mehr als 20 Wahlberechtigten die Unterzeichnung von mindestens 1/20 der Wahlberechtigten erforderlich. 

Eingeschränkte Wahlanfechtung

Die Anfechtung der Betriebsratswahl durch die Wahlberechtigung kann künftig nicht mehr darauf gestützt werden, dass die Wählerliste unrichtig gewesen ist, wenn nicht zuvor aus diesem Grund ordnungs- und fristgemäß Einspruch gegen die Richtigkeit der Wählerliste eingelegt wurde. Hierauf soll der Wahlvorstand künftig bereits im Wahlausschreiben hinweisen. Eine Ausnahme wird gemacht, wenn die Wahlberechtigten an der Einlegung des Einspruchs gehindert gewesen sind. Für den Arbeitgeber ist zu beachten, dass dieser die Betriebsratswahl aufgrund einer unrichtigen Wählerliste künftig nicht mehr anfechten kann, wenn die Unrichtigkeit der Wählerliste auf seinen Angaben beruht. Insoweit sind Arbeitgeber gehalten, künftig ein noch größeres Augenmerk auf die Richtig- und Vollständigkeit der zu übermittelten Mitarbeiterlisten zu achten.

Erleichterte Wahlen von Jugend- und Auszubildendenvertretungen

Das Betriebsrätemodernisierungsgesetz erleichtert nicht nur Formalia und Verfahren von Betriebsratswahlen, sondern auch von Wahlen zu Jugend- und Auszubildendenvertretungen. So wurde die bisherige Altersgrenze für Auszubildende in § 60 BetrVG gestrichen, ebenso gelten die für Betriebsratswahlen eingeführten Änderungen und Erleichterungen in Bezug auf das vereinfachte Wahlverfahren für die Wahl von Jugend- und Auszubildendenvertretungen entsprechend (§ 63 BetrVG).

Änderungen der Wahlordnung 
Neben dem geänderten rechtlichen Rahmen im BetrVG wird die Wahlordnung zur Durchführung des BetrVG an die neue Rechtslage geändert und angepasst. Es ist damit zu rechnen, dass der Bundesrat die geplanten Änderungen in der ersten Oktoberhälfte verabschiedet. Dies sind für die Praxis die wichtigsten Änderungen für das Verfahren und den Ablauf der Betriebsratswahl auf Grundlage des Referentenentwurfs: 

Video- und Telefonkonferenzen

Nicht nur die Betriebsräte selbst sollen die Möglichkeit digitaler Kommunikation und Sitzungen per Video- und Telefonkonferenzen nutzen können (§ 30 BetrVG). Das Gleiche soll grundsätzlich auch für Wahlvorstände gelten mit Einschränkung bei bestimmten Tätigkeiten, die zwingend Präsenz erfordern (z.B. Prüfung und Bearbeitung von Wahldokumenten oder die Stimmauszählung).

Versand von Briefwahlunterlagen ohne Anforderung 

Der Wahlvorstand kann künftig Briefwahlunterlagen aufgrund eigener Entscheidung an Arbeitnehmer ohne deren Anforderung versenden, wenn diese bereits längere Zeit im Betrieb abwesend gewesen sind und dem Wahlvorstand bekannt ist, dass sie bis zur Wahl voraussichtlich nicht in den Betrieb zurückkehren. Hierdurch soll die Teilnahme an der Wahl möglichst vielen Wahlberechtigten ermöglicht werden, die sich andernfalls möglicherweise nicht an der Wahl beteiligt hätten. Neben Fällen von Arbeitsunfähigkeit umfasst dies z.B. auch den Mutterschutz oder eine Elternzeit.

Korrektur der Wählerliste

Die Wählerliste umfasst alle aktiv wahlberichtigten Arbeitnehmer des Betriebs. Bisher konnte eine Berichtigung dieser Liste nur bis zum Tag vor dem Beginn der Stimmabgabe zur Betriebsratswahl erfolgen. Künftig sollen Korrekturen der Wählerliste länger und zwar bis zum Abschluss der Stimmabgabe am Tag der Wahl selbst vorgenommen werden können. Kurzfristig vor der Wahl neu eingetretene Mitarbeiter können daher noch sehr kurzfristig in die Wählerliste aufgenommen werden und mitwählen.

Verzicht auf Wahlumschläge bei Präsenzwahlen 

Hierdurch soll die Arbeit des Wahlvorstands bei der Auszählung erleichtert und ein Beitrag zur Nachhaltigkeit und Ressourcenschonung geleistet werden. 

Zeitpunkt der Bearbeitung von schriftlich abgegebenen Stimmen

Die schriftlich abgegebenen Stimmen sollen künftig erst nach der Stimmabgabe zu Beginn der Stimmenauszählung bearbeitet werden. Bislang legt der Wahlvorstand die schriftlich abgegebenen Stimmen unmittelbar vor Abschluss der Stimmabgabe in die Wahlurne ein. Nun werden die Umschläge nach der Stimmabgabe geöffnet und die Stimmzettel in die Wahlurne gelegt. Hierdurch sollen die schriftlich abgegebenen Stimmen nicht mehr zu identifizieren sein.

Fristende zur Angabe von Erklärungen

Der Wahlvorstand kann künftig das Fristende zur Abgabe von bestimmten Erklärungen vorziehen. Hiernach kann es nicht mehr auf das Ende des jeweiligen Tages ankommen (24:00 Uhr), sondern ein früherer Zeitpunkt, der jedoch nicht vor dem Ende der Arbeitszeit der Mehrheit der Wähler an diesem Tag liegen darf. Relevant kann dies z.B. für die Einreichung von Wahlvorschlägen oder für den Einspruch gegen die Richtigkeit der Wähleiliste sein. 

Fazit:
Vor allem in kleineren Betrieben wurde das Verfahren der Wahl vereinfacht und beschleunigt. Auch ist die Möglichkeit digitaler Sitzungen für den Wahlvorstand zeitgemäß. Der „große Wurf“ in Richtung Digitalisierung wurde trotzdem nicht erreicht. Weiterhin sind die Einleitung, die Durchführung und Auswertung der Wahl sehr komplexe und damit fehleranfällige Prozesse. 

Arbeitgeber sind gut beraten, sich mit den gesetzlichen Neuerungen zur Betriebsratswahl und zum Wahlverfahren rechtzeitig vertraut zu machen, um nachträgliche Streitigkeiten um die Wirksamkeit der Wahl zu vermeiden. Zwar organisieren die Arbeitnehmer die Wahl, die Kosten hierfür sind jedoch vom Arbeitgeber zu tragen. 

In einem zweiten Teil dieses Blogs zu den Betriebsratswahlen im kommenden Frühjahr beleuchten wir den Verlauf der Betriebsratswahl, die wichtigsten Pflichten des Arbeitgebers in diesem Rahmen und typische Fehlerquellen.