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Machtmissbrauch durch Führungskraft

van_portraits_840x840px_16_raeuker_2.png Kaya Räuker

September 2025

Lesedauer: Min

Arbeitnehmerin erhält knapp 70.000 € Abfindung wegen Unzumutbarkeit der Fortführung des Arbeitsverhältnisses

Sexistische Äußerungen, Degradierung, Entzug von Rechten und dann die Kündigung nach Ablehnung einer intimen Beziehung. Wenn eine Führungskraft ihre Macht derart missbraucht, dann sollte sich ein Unternehmen nicht schützend vor sie stellen. Dies zeigt eine aufsehenerregende Entscheidung des LAG Köln (Urteil v. 9.7.2025 – 4 SLa 97/25).

Was war passiert?

Zunächst ein vermeintlich üblicher Fall: Eine Mitarbeiterin wird wegen angeblicher Pflichtverletzungen gekündigt. Sie erhebt Kündigungsschutzklage und verlangt Weiterbeschäftigung. Doch vor Gericht entwickelt sich der Fall zum arbeitsrechtlichen Krimi.

Die Klägerin arbeitete seit über vier Jahren bei der Beklagten eng mit dem Geschäftsführer zusammen. Ihr Gehalt Betrug zuletzt 7.744,75 € monatlich. Der Geschäftsführer machte ihr Geschenke und stellte ihr einen Dienstwagen zur Verfügung.

Eines morgens sendete der Geschäftsführer der Klägerin eine Nachricht: „Morgen Chefin, Morgen schöne Frau, Morgen mein Kopfschmerz….“, ob sie sich für einen Termin mit „Möchtegern-Bankern“ schick mache könne, „rockmäßig was kurzes“ und „dekolteemäßig“, natürlich rote Nägel und Highheels und „Gaaaaaaanz wichtig. Nichts unter dem Rock anziehen“ – „nur Spaß“, wie er später anfügte. Doch als sie nicht wie gewünscht reagierte, folgten Beleidigungen und Erniedrigungen: „Du lernst es nie. Das heißt, ja gern mein Schatz. (…) Du müsstest auf die Knie fallen und Danke sagen. Was bist bloß für ein Mensch (…) Bist halte eine dumme Frau. Kein Klasse, Kein Anstand, einfach ein Bauern-Mädchen. (…) Will deine dumme hässliche fresse nicht sehen!!! (…)“ Er schickte sie in den Urlaub und ins Homeoffice, forderte die Rückgabe aller Geschenke und kündigte eine Rückstufung des Gehalts sowie Entziehung des Dienstwagens an.

Wenige Tage später erhielt sie einen Blumenstrauß und einen Gutschein für einen gemeinsamen Thermenbesuch. Sie lehnte ab. Kurz darauf ließ der Geschäftsführer die Geschenke bei der Klägerin abholen und kündigte das Arbeitsverhältnis wegen angeblicher Pflichtverletzungen.

Während des Kündigungsschutzprozesses erkannte die Beklagte den Kündigungsschutzantrag an und forderte die Klägerin auf, zur Arbeit zurückzukehren. Die Klägerin erkrankte – Diagnose: posttraumatische Belastungsstörung – und beantragte die Auflösung des Arbeitsverhältnisses gegen Zahlung einer Abfindung in Höhe von 70.000 €

Das Arbeitsgericht Bonn gab der Klage statt. Hiergegen richtete sich die Berufung der Beklagten.

Die Entscheidung des Landesarbeitsgerichts Köln

Das LAG bestätigte die Entscheidung weitgehend und reduzierte die Abfindung lediglich leicht auf 68.153,80 €. Eine Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses sei der Klägerin nicht zumutbar. Der Weiterbeschäftigungsanspruch stehe dem Auflösungsantrag nicht entgegen. Eine angemessene Abfindung sei zu zahlen.

Unzumutbarkeit der Fortführung des Arbeitsverhältnisses

Nach § 9 Abs. 1 S. 1 KSchG hat das Gericht ein durch sozialwidrige Kündigung nicht beendetes Arbeitsverhältnis aufzulösen, wenn dem Arbeitnehmer die Fortsetzung nicht zugemutet werden kann.

Unzumutbarkeit liegt der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts zufolge vor, wenn mit der Kündigung bzw. dem Kündigungsschutzprozess weitere Umstände einhergehen, die eine künftige vertrauensvolle Zusammenarbeit für den Arbeitnehmer ausschließen.

Das LAG Köln sah diese Voraussetzungen im vorliegenden Fall als eindeutig erfüllt an. Seiner Auffassung nach seien die Anforderungen an die zusätzlichen Gründe auch umso geringer, je schwerwiegender die Sozialwidrigkeit der Kündigung sei. Der Vortrag der Beklagten zur Kündigung sei gerade unschlüssig und unsubstantiiert. Das Verhalten des Geschäftsführers zudem ein klarer Ausdruck von Machtmissbrauch. Die Klägerin müsse auch künftig mit arbeitsrechtlichen Sanktionen rechnen, sollte sie sich den privaten Wünschen des Geschäftsführers widersetzen. Die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses sei ihr daher unzumutbar. Ob zuvor ein freundschaftliches Verhältnis bestanden habe, sei unbeachtlich.

Nebeneinander von Auflösungs- und Weiterbeschäftigungsantrag

Das LAG hielt den Auflösungsantrag trotz vorherigen Weiterbeschäftigungsantrags auch für zulässig. Dieses Vorgehen sei weder treuwidrig noch rechtsmissbräuchlich, sondern als übliches anwaltliches Vorgehen zu betrachten.

Höhe der Abfindung

Nach § 10 Abs. 1 KSchG kann das Gericht im Grundsatz eine Abfindung von bis zu 12 Monatsverdiensten festsetzen.
Für die konkrete Höhe der Abfindung sind der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts zufolge folgende Aspekte maßgeblich:

  • Ausgleich für Vermögens- und Nichtvermögensschäden durch den Arbeitsplatzverlust

  • Abschreckungswirkung gegenüber sozial ungerechtfertigten Kündigungen

  • Betriebszugehörigkeit sowie Grad der Sozialwidrigkeit

  • Ausgleich für ideelle Nachteile wie psychische Belastungen

Ausgehend von diesen Vorgaben kam das LAG Köln im vorliegenden Fall zu der Einschätzung, dass eine Abfindung von 2 Bruttogehältern pro Beschäftigungsjahr, also insgesamt 68.153,80,-, angemessen sei. Die sogenannte Regelabfindung von einem halben Gehalt pro Beschäftigungsjahr sei hier schon deshalb zu erhöhen, weil die Sozialwidrigkeit der Kündigung nicht in Streit stehe. Ferner müssten die erhebliche Herabwürdigung und psychische Belastung der Klägerin ausgeglichen werden sowie die Genugtuungsfunktion der Abfindung erfüllt sein. Und schließlich habe die Beklagte die Auflösungsgründe vorsätzlich herbeigeführt, sodass sie ein hohes Maß an Auflösungsverschulden treffe.

Fazit und Handlungsempfehlungen für Arbeitgeber

Der Fall zeigt deutlich: Machtmissbrauch durch Führungskräfte kann für Unternehmen gravierende rechtliche und wirtschaftliche Folgen haben – von Imageschäden ganz zu schweigen.

Insgesamt gilt zu beachten, dass Arbeitgeber nicht nur aus moralischer, sondern auch aus rechtlicher Sicht verpflichtet sind, konsequent gegen diskriminierendes, sexuell übergriffiges oder entwürdigendes Verhalten in der Führungsebene, aber auch im Mitarbeiterkreis vorzugehen. Das Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz (AGG) verpflichtet Arbeitgeber, ihre Beschäftigten vor Diskriminierung und sexueller Belästigung zu schützen (§ 12 AGG). Bei Vorfällen sind unverzüglich angemessene Maßnahmen zu ergreifen – bis hin zur Abmahnung oder Kündigung der verantwortlichen Person. Bei Verstößen kommen auch Schadensersatzforderungen gegenüber den Betroffenen in Betracht (§ 15 AGG).

Unternehmen sollten daher:

  • Verhaltensrichtlinien gegen Diskriminierung und Machtmissbrauch etablieren,

  • Führungskräfte sensibilisieren und schulen,

  • Vertrauensvolle Beschwerdestrukturen schaffen und

  • rechtliche Schritte konsequent prüfen und umsetzen, wenn Pflichtverletzungen auftreten.

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