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5, 500, 2000: Leiharbeitnehmer zählen – aber wie?

van_portraits_840x840px_03_lamers.png Lioba Lamers

Januar 2020

Lesedauer: Min

Die Beschäftigung von Leiharbeitnehmern kann Auswirkungen auf die unternehmerische Mitbestimmung haben

Die große Koalition hatte sich für die aktuelle Legislaturperiode zum Ziel gesetzt, auf die in den letzten zwei Jahrzehnten stetig gestiegene Zahl von Leiharbeitnehmern zu reagieren und deren Schutz zu verbessern. Die im Zuge dessen umgesetzte Reform des Arbeitnehmerüberlassungsgesetzes (AÜG) von 2017 schärfte dieses Profil: durch erweiterte und verbesserte Rechte von Leiharbeitnehmern – nicht nur zugunsten des einzelnen Leiharbeitnehmers, sondern auch hinsichtlich der kollektiven Wahrnehmung von Arbeitnehmerrechten. Damit machte die große Koalition gleichzeitig ein Zugeständnis an die Gewerkschaften, die schon seit langem einen Rückgang der unternehmerischen Mitbestimmung in Deutschland bemängelten – auch bedingt durch den Einsatz von Leiharbeitnehmern.

Grundsätze der unternehmerischen Mitbestimmung
Die unternehmerische Mitbestimmung ist vor allem im Drittelbeteiligungs- und Mitbestimmungsgesetz geregelt. In Unternehmen mit ausgewählten Gesellschaftsformen (insbesondere bei einer GmbH und Aktiengesellschaft) sind Aufsichtsräte zu bilden, die zu einem Drittel bzw. zur Hälfte mit Arbeitnehmern zu besetzen sind, wenn bestimmte Schwellenwerte hinsichtlich der Belegschaftsstärke erreicht werden.

Im Zusammenhang mit der AÜG-Reform wurde auch § 14 Abs. 2 AÜG erweitert. Mit Einführung von § 14 Abs. 2 S. 5 AÜG legte der Gesetzgeber fest, dass Leiharbeitnehmer bei der Berechnung der gesetzlichen Schwellenwerte zur Anwendbarkeit folgender Gesetze zu berücksichtigen sind:

  • Mitbestimmungsgesetz (anwendbar ab 2.000 Arbeitnehmern)

  • Drittelbeteiligungsgesetz (anwendbar ab 500 Arbeitnehmern)

  • Montan-Mitbestimmungsgesetzes, (ab 1.000 Arbeitnehmern)

  • Mitbestimmungsergänzungsgesetzes

  • Gesetz über die Mitbestimmung der Arbeitnehmer bei einer grenzüberschreitenden Verschmelzung

  • SE und SCE-Beteiligungsgesetz

  • die jeweiligen zu diesen Gesetzen anwendbaren Wahlordnungen

Dies gilt aber nicht uneingeschränkt: § 14 Abs. 2 S. 6 AÜG sieht vor, dass Leiharbeitnehmer nur dann zu berücksichtigen sind, „wenn die Einsatzdauer sechs Monate übersteigt“. Offen gelassen hatte der Gesetzgeber allerdings die Frage, was genau als sechsmonatige Einsatzdauer gelten soll: Muss der einzelne, konkrete Leiharbeitnehmer mindestens sechs Monate in dem Unternehmen gearbeitet haben oder ist vielmehr die Anzahl der Arbeitsplätze, die über die Dauer von sechs Monaten hinaus mit – in der Person wechselnden – Leiharbeitnehmern besetzt sind maßgeblich?

Entscheidung des Bundesgerichtshofs
Der Bundesgerichtshof (BGH) hat nunmehr festgestellt, dass auch Leiharbeitnehmer bei der Bildung eines paritätisch besetzten Aufsichtsrats mitzählen können. Zur Begründung führt der BGH aus, dass es nicht auf den konkret eingesetzten Leiharbeitnehmer ankommt, sondern darauf, ob der Einsatz von Leiharbeitnehmern so dauerhaft erfolge, dass er für die ständige Größe des Unternehmens ebenso prägend ist, wie die Stammbelegschaft.

Diese Betrachtung müsse in zwei Schritten vorgenommen werden:

  • Feststellung, ob über die Dauer von sechs Monaten hinaus innerhalb eines Jahres Arbeitsplätze mit Leiharbeitnehmern besetzt waren. Dabei ist es unerheblich, ob es sich um den Einsatz eines bestimmten oder wechselnde Leiharbeitnehmer handelt und auch ob die Leiharbeitnehmer auf dem gleichen oder auf verschiedenen Arbeitsplätzen eingesetzt werden

  • Prüfung, ob die Beschäftigung von Leiharbeitnehmern über die Dauer von sechs Monaten hinaus regelmäßig erfolgt

Dieser kompliziert anmutenden Prüfung liegt letztlich folgender, vereinfachter Gedanke zugrunde: wenn es einen kontinuierlichen Arbeitsbedarf gibt, der nicht mit eigenen Arbeitnehmern sondern mit Leiharbeitnehmern abgedeckt wird, so ist die Anzahl der mit ihnen besetzten Leiharbeitnehmern bei der Berechnung der Schwellenwerte einzubeziehen. Nicht zum Erreichen der Schwellenwerte soll führen, wenn ein Unternehmen im Zuge von Arbeitsspitzen, z.B. bei einer Umstrukturierungsmaßnahme oder bei zeitlich begrenzten Aufgaben sich der Unterstützung von Leiharbeitnehmern bedienen – selbst dann nicht, wenn sie länger als sechs Monate eingesetzt werden: denn dann fehlt es an der Regelmäßigkeit.

Mit dieser Entscheidung bekräftigt der Bundesgerichtshof den vom Gesetzgeber angestrebten und auch vom Bundesarbeitsgericht angestrebten Gleichlauf der Arbeitnehmermitbestimmung auf betriebsverfassungsrechtlicher Ebene und der Ebene der unternehmerischen Mitbestimmung.

Praxishinweis:
Unternehmen, die sich im Bereich der Schwellenwerte für einen mitbestimmten Aufsichtsrat bewegen, sollten zunächst die Anzahl der grundsätzlich vorhandenen Arbeitsplätze und nicht die – teilweise komplex zu erfassenden – konkreten Einsätze bestimmter Leiharbeitnehmer im Auge behalten.

Vor allem erfolgreiche Start-ups sind gut beraten, sich angesichts ihrer schnell wachsenden Beschäftigtenzahlen zu überlegen, wie sie mit den gleichzeitig komplexeren rechtlichen Rahmenbedingungen umgehen möchten. Mittels gesellschaftsrechtlicher Gestaltungsinstrumente beispielsweise kann ein Unternehmen bereits im Vorfeld steuern, ob es einen mitbestimmten Aufsichtsrat haben möchte.