Bereits im Koalitionsvertrag von 2021 hatte die Bundesregierung angekündigt, man wolle das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz (AGG) „evaluieren, Schutzlücken schließen, den Rechtsschutz verbessern und den Anwendungsbereich ausweiten“. Am 19. Juli 2023 hat die Antidiskriminierungsstelle des Bundes (ADS) nunmehr ein Grundlagenpapier veröffentlicht, das die wichtigsten Reformvorschläge enthält. Im folgenden Beitrag wollen wir diese und ihre potentiellen Auswirkungen für Arbeitgeber vorstellen.
Reformvorschläge
Ausweitung und Präzisierung des Anwendungsbereichs
Die aktuellen Diskriminierungsmerkmale sollen nach dem Vorschlag der ADS um weitere Merkmale ergänzt werden. Hierzu zählen zum einen „Staatsangehörigkeit“, „Sprache“, „Geschlechtsidentität“ und „chronische Krankheit“, obwohl diese bereits nach aktueller Gesetzeslage im Rahmen der mittelbaren Diskriminierung geschützt sind. Daneben sollen die Vorschläge „sozialer Status“ und „familiäre Fürsorgeverantwortung“ die bisherigen Kriterien erweitern, um bestehende Schutzlücken zu schließen. Hier wären klare Begriffsdefinitionen wünschenswert.
Schließlich sollen die Merkmale „Alter“ durch „Lebensalter“ und „Rasse“ durch „rassistische Zuschreibungen“ ersetzt werden. Dies hat wohl nur klarstellende Funktion. Insbesondere der Begriff „Rasse“ ist missglückt.
Weiterhin soll nach dem Grundlagenpapier der Anwendungsbereich des AGG auch auf Freiberufler und Freiwilligendienstleistende sowie Praktikanten ausgeweitet werden.
Schutz vor Diskriminierung durch künstliche Intelligenz
Der Vorschlag der ADS greift auch das aktuelle Thema automatisierte Entscheidungssysteme – besser bekannt als künstliche Intelligenz (KI) - auf. Wörtlich schlägt das Grundlagenpapier vor, dass das Handeln durch automatisierte Entscheidungssysteme als Benachteiligungstatbestand aufgenommen werden sollte. Unklar ist jedoch, ob dies jeglichen Einsatz von KI umfassen soll oder nur solchen, der zu einer Entscheidung führt und, ob damit der bloße Einsatz von KI bereits als Benachteiligung bewertet werden soll. Letzteres wäre angesichts der Vielzahl unterschiedlicher KI-Systeme und ihrer Einsatzmöglichkeiten extrem weitgehend und würde ein Pauschalverbot darstellen. Hier wäre eine Klarstellung zu erwarten.
Besserer Schutz für Menschen mit Behinderung
Zur verbesserten Rechtsdurchsetzung für Menschen mit Behinderungen soll das Unterlassen von Vorkehrungen zur Überwindung von Barrieren und gleichberechtigter Teilhabe als Benachteiligung definiert werden. Zudem soll bei einem entsprechenden Unterlassen das Vorliegen einer Benachteiligung widerleglich als Indiz vermutet werden. Eine Pflicht zur barrierefreien Gestaltung von Arbeitsplätzen ist bislang nur in § 3a Abs. 2 ArbStättV angelegt, wenn Arbeitgeber Menschen mit Behinderungen beschäftigen. Die veränderte Beweislastregel würde damit insbesondere in der Anbahnungsphase des Arbeitsverhältnisses relevant sein.
Streichung der kirchenrechtlichen Privilegien
Aktuell gelten für konfessionelle Arbeitgeber nach § 9 AGG umfangreiche Ausnahmen von den Vorgaben des AGG: Die Vorschrift soll ersatzlos gestrichen werden. Den Bedürfnissen von konfessionellen Arbeitgebern soll aber weiter im Rahmen des § 8 AGG auf der Rechtfertigungsebene Rechnung getragen werden.
Stärkung des Schutzes vor Diskriminierung wegen des Alters
Die aktuelle Möglichkeit, Mindest- und Höchstanforderungen an das Alter von Beschäftigten stellen zu dürfen, soll gestrichen werden. Relevant dürfte dies insbesondere für öffentliche Arbeitgeber sein, da entsprechende Altersgrenzen insbesondere bei der Verbeamtung thematisiert werden. Aber auch bei Tätigkeiten mit besonderen körperlichen Anforderungen (z.B. Piloten) sind Altersgrenzen bislang anerkannt.
Verlängerte Frist zur Rechtsdurchsetzung
Derzeit beträgt die Frist zur Geltendmachung von Ansprüchen wegen Benachteiligung zwei Monate ab Entstehung des Anspruchs. Diese soll auf zwölf Monate ausgeweitet werden. Die vorgeschlagene Erweiterung soll Schutzlücken bei Personen schließen, die zwar Tatsachenkenntnis haben, denen jedoch die Rechte an sich nicht bekannt sind und mehr Zeit für die gütliche Einigung über Ansprüche verschaffen.
Erleichterter Nachweis von Diskriminierungen
Aktuell muss eine betroffene Person die Benachteiligung voll beweisen, also dass sie eine weniger günstige Behandlung als eine Vergleichsperson erfahren hat. Nach dem Vorschlag der ADS soll künftig die Glaubhaftmachung ausreichen.
Daneben sollen Regelbeispiele für eine vermutete Benachteiligung aufgenommen werden, um die Beweislastumkehr zu erleichtern. Dazu gehören Testings, das Versäumnis des Arbeitgebers, eine Beschwerdestelle einzurichten oder Aussagen der betroffenen Personen. Letzteres ist besonders weitgehend und wirft die Frage auf, wie dieses Regelbeispiel von der bloßen Behauptung abzugrenzen ist. Dies dürfte in der weiteren Diskussion bis zur Umsetzung der AGG-Reform sicherlich eine wesentliche Fragestellung sein. Schließlich soll auch ein Auskunftsanspruch gegenüber der diskriminierenden Partei geschaffen werden.
Entschädigungen
Im Vergleich insbesondere zu den USA fallen gerichtlich festgelegte Entschädigungszahlungen wegen Diskriminierung verhältnismäßig niedrig aus. Die ADS verlangt deshalb eine klarstellende Aufnahme, dass Sanktionen bei Diskriminierung wirksam, verhältnismäßig und abschreckend sein müssen. Faktisch führt dies jedoch nicht ohne Weiteres zu einer Anhebung der Entschädigungen. Diese müssten erst durch die gerichtliche Praxis umgesetzt werden.
Ausweitung der Rechtsschutzmöglichkeiten
Im bestehenden Arbeitsverhältnis herrscht nach wie vor Zurückhaltung, was die individuelle Rechtsdurchsetzung angeht. Der Vorschlag der ADS sieht daher gleich vier Instrumente vor, die den Betroffenen den Zugang zu Rechtsschutz erleichtern sollen. Dies umfasst neben einem Verbandsklagerecht und der Möglichkeit der Prozessstandschaft für Antidiskriminierungsverbände auch ein Klagerecht der Unabhängigen Bundesbeauftragten für Antidiskriminierung sowie die Möglichkeit zu einer verpflichtenden Schlichtung, sofern die betroffene Person dies wünscht.
Wie geht es weiter?
Während eine Vielzahl der vorgeschlagenen Änderungen im Grundlagenpapier eher klarstellender Natur sind, sind andere sehr weitreichend. Das betrifft insbesondere die Beweislastregeln. Bislang handelt es sich nur um ein unverbindlichen Grundlagenpapier. Mit diesem hat die ADS aber einen Anker gesetzt, an dem sich die weitergehende Diskussion orientieren wird. Aus der den aktuellen Bundesjustizminister stellenden FDP erhalten die Vorschläge bereits starken Gegenwind. Konkrete Pläne für die Vorlage eines Gesetzesentwurfs liegen nicht vor. Es ist daher in naher Zukunft nicht mit einer Umsetzung der geplanten Reform zu rechnen. Für die gesellschaftliche Verantwortung und Attraktivität eines Unternehmens hat die diskriminierungsfreie und inklusive Gestaltung des Arbeitsplatzes aber bereits jetzt einen unermesslichen Wert. Unabhängig von den gesetzlichen Grundlagen lohnt sich eine genaue Prüfung der betrieblichen Gegebenheiten und Strukturen. Wir beraten Sie hierbei gerne.