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Auf dem Weg zur zwingenden Arbeitszeiterfassung? Die gesetzgeberische Hängepartie geht in die nächste Runde

Februar 2022

Lesedauer: Min

Worauf sich Unternehmen nicht nur der betroffenen Branchen einstellen müssen

Arbeitgeber etlicher Branchen sollen nach Plänen der Regierung bereits ab Oktober 2022 die Arbeitszeit ihrer Mitarbeiter unmittelbar elektronisch erfassen. Die Überraschung hierüber in den betroffenen Branchen ist groß. Und für alle anderen Arbeitgeber stellt sich die Frage, ob damit nun auch die Einführung einer allgemeinen Arbeitszeiterfassung Fahrt aufnimmt und die neuen branchenbezogenen Pflichten hierfür gar als Blaupause dienen sollen.

Seit der Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs vom 14. Mai 2019 (C-55/18, CCOO/ Deutsche Bank SAE; siehe auch unsere Blogbeiträge „Gedanken aus Compliance-Sicht“ und „Angriff auf die Agilität“); wonach die Auslegung insbesondere der Arbeitszeitrichtlinie (2003/88/EG) von den Mitgliedstaaten verlangt, ein objektives, verlässliches und zugängliches System einzuführen, mit dem die von jedem Arbeitnehmer täglich geleistete Arbeitszeit gemessen werden kann, warten Arbeitgeber gebannt darauf, was der deutsche Gesetzgeber aus dieser Vorgabe mit Blick auf eine zwingende allgemeine Arbeitszeiterfassung machen wird. Zur Erinnerung: Das Arbeitszeitgesetz verlangt derzeit lediglich, dass Arbeitszeiten von arbeitstäglich mehr als acht Stunden dokumentiert werden.

Zwischenzeitlich wurde der Gesetzgeber bereits einmal kurz vom Arbeitsgericht Emden rechts überholt, als dieses, vereinfacht gesagt, meinte, das bestehende nationale Recht sei im Sinne der Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs auszulegen und der Arbeitgeber damit schon jetzt zur umfassenden Arbeitszeiterfassung verpflichtet; die Berufungsinstanz hat dem aber bis auf Weiteres einen Riegel vorgeschoben (siehe auch unser Blogbeitrag „Arbeitszeiterfassung – Immer etwas Neues“). Das Bundesarbeitsgericht (5 AZR 359/21) verhandelt den Fall voraussichtlich am 4. Mai 2022.

Im Koalitionsvertrag der Ampel heißt es in aller politischer Vorsicht, dass geprüft werde, "welchen Anpassungsbedarf wir angesichts der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs zum Arbeitszeitrecht sehen". Einen Vorgeschmack dessen, was da kommen könnte, liefert nun aber ganz aktuell – und gleichsam mit der Tür ins Haus fallend – das Bundesministerium für Arbeit und Soziales (BMAS) mit seinem Referentenentwurf zu einem Zweiten Gesetz zu Änderungen im Bereich der geringfügigen Beschäftigung.

Neuregelung zu Minijobs als trojanisches Pferd für zwingende Arbeitszeiterfassung
Nach weitläufiger Erwartung sollte mit diesem Gesetz eigentlich vor allem sichergestellt werden, dass sog. Minijobber auch nach Anhebung des allgemeinen Mindestlohns auf 12 Euro ab Oktober 2022 weiterhin in ihrem bisherigen Stundenumfang arbeiten können. Entsprechend sieht der Entwurf vor, dass die Geringfügigkeitsgrenze auf künftig 520 Euro pro Monat angehoben wird, damit weiterhin bis zu 10 Stunden pro Woche als Minijobber gearbeitet werden können.

Kalt erwischt werden Arbeitgeber diverser Branchen allerdings von der vorgesehenen Änderung von § 17 Abs. 1 S. 1 des Mindestlohngesetzes, der künftig wie folgt lauten soll:

Ein Arbeitgeber, der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer nach § 8 Absatz 1 des Vierten Buches Sozialgesetzbuch oder in den in § 2a des Schwarzarbeitsbekämpfungsgesetzes genannten Wirtschaftsbereichen oder Wirtschaftszweigen beschäftigt, ist verpflichtet, den Beginn der täglichen Arbeitszeit der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer jeweils unmittelbar bei Arbeitsaufnahme sowie Ende und Dauer der täglichen Arbeitszeit jeweils am Tag der Arbeitsleistung elektronisch und manipulationssicher aufzuzeichnen und diese Aufzeichnungen mindestens zwei Jahre beginnend ab dem für die Aufzeichnung maßgeblichen Zeitpunkt elektronisch aufzubewahren.

Eine gleichlautende Änderung ist für § 19 Abs. 1 S. 1 des Arbeitnehmer-Entsendegesetzes sowie für § 17c Abs. 1 des Arbeitnehmerüberlassungsgesetzes vorgesehen.

Im Ergebnis wird damit für Millionen von Beschäftigten verschiedenster Branchen – und zwar vollkommen unabhängig vom Beschäftigungsumfang – eine strenge, unmittelbare, elektronische Erfassung der Arbeitszeit vorgeschrieben. Die Dokumentationspflicht gilt zwar auch für alle Minijobber, und zwar unabhängig von der Branche. Erfasst sind aber vor allem sämtliche Beschäftigte aus 11 Branchen, unter anderem dem Baugewerbe, dem Gaststätten- und Beherbergungsgewerbe und dem Speditions-, Transport- und damit verbundenen Logistikgewerbe, darüber hinaus sämtliche Beschäftigte in Branchen mit allgemeinverbindlichen Tarifverträgen und – last but not least – sämtliche Leiharbeitnehmer.

Baubranche und Co. sind schon heute zur Arbeitszeiterfassung verpflichtet
Zwar sind, was in der Diskussion um eine allgemeine Pflicht zur Arbeitszeiterfassung zuweilen zu kurz kommt, die Arbeitgeber in diesen Branchen auch heute schon verpflichtet, die Arbeitszeiten – nicht bloß die Überstunden – ihrer Mitarbeiter zu erfassen, doch haben sie dazu bislang sieben Tage Zeit und müssen dies auch nicht zwingend elektronisch erledigen. Dasselbe gilt allgemein für die Beschäftigung von Minijobbern.

Insbesondere der vorgesehene Wegfall der Sieben-Tage-Frist bringt die betroffenen Branchen nun auf die Barrikaden, denn die künftig geforderte unmittelbare Erfassung von Arbeitsbeginn und -ende kann in vielen Fällen (Monteure auf der Baustelle; Lkw-Fahrer auf mehrtägiger Route usw.) zwangsläufig nur mit elektronischen Devices erfolgen, die die Beschäftigten bei sich führen müssen. Diese technischen Voraussetzungen müssen bis zum 1. Oktober 2022, dem geplanten Inkrafttreten der Neuregelung, millionenfach geschaffen werden, und oftmals wird es nicht mit dem Installieren einer App auf dem Diensthandy getan sein. 

Ob die derzeit für bestimmte Beschäftigte der betroffenen Branchen geltenden Erleichterungen in Gestalt der Mindestlohndokumentationspflichtenverordnung (Ausnahme von Beschäftigten mit einem verstetigten regelmäßigen Monatsentgelt von mehr als 2.958 Euro brutto) und der Mindestlohnaufzeichnungsverordnung (Arbeitnehmer mit ausschließlich mobilen Tätigkeiten) in dieser Form beibehalten werden, bleibt abzuwarten.

Und wann folgt der ganze Rest? 
Das gilt erst recht für die große Frage, ob, wann und in welcher Form eine allgemeine Pflicht der Arbeitgeber zur Dokumentation der Arbeitszeit ihrer Mitarbeiter eingeführt wird. Das aktuelle Gesetzesvorhaben zeigt jedenfalls, dass es ganz schnell gehen kann und dass zumindest die Referenten des BMAS alles andere als zimperlich vorgehen, nicht zuletzt mit Blick auf die kurze Umsetzungsfrist. Sicher, die aktuell betroffenen Branchen stehen als "schwarzarbeitsaffin" unter besonderer Beobachtung. Wenn aber zur Begründung der neuen Dokumentationspflichten im Referentenentwurf allein darauf abgestellt wird, dass diese "dem Bürokratieabbau durch Digitalisierung" dienten und "durch die elektronische Form der Arbeitszeitaufzeichnung (…) Arbeitgeber dauerhaft entlastet werden (können)", dann sollten Arbeitgeber und ihre Interessenverbände die künftige Entwicklung auf dem Weg zu einer allgemeinen Dokumentationspflicht der Arbeitszeit mit Argusaugen beobachten.

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