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Die elektronische Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung kommt – Tschüss, gelber Schein?

van_portraits_840x840px_02_mueller-foell.png Johanna Müller-Foell

November 2022

Lesedauer: Min

Das Jahr 2023 steht vor der Tür - und damit auch die Einführung der elektronischen Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung (eAU). Nachdem diese durch den Gesetzgeber mehrfach verschoben worden ist, soll die eAU nach derzeitigem Stand zum 01. Januar 2023 eingeführt werden.

Der Einführung der eAU liegt das Dritte Bürokratieentlastungsgesetz, das am 28. November 2019 im Bundesgesetzblatt verkündet worden ist, zugrunde. Das Gesetz nutze die Chancen der Digitalisierung, um die mühsame Zettelwirtschaft zu erleichtern, heißt es. Nachdem die „Chancen der Digitalisierung“ im Zuge der Anpassung des Nachweisgesetzes nicht ansatzweise ergriffen worden sind, scheint auch das Bürokratieentlastungsgesetz viel eher zu einer Bürokratiebelastung für Arbeitgeber zu führen. Ein Überblick.

Wie ist der Status quo?

Derzeit sind Arbeitnehmer verpflichtet, dem Arbeitgeber im Falle der Erkrankung die Arbeitsunfähigkeit und deren voraussichtliche Dauer unverzüglich mitzuteilen. Dauert die Arbeitsunfähigkeit länger als drei Kalendertage, haben Arbeitnehmer eine ärztliche Bescheinigung in Papierform über das Bestehen der Arbeitsunfähigkeit sowie deren voraussichtliche Dauer spätestens an dem darauffolgenden Arbeitstag vorzulegen. Dabei ist der Arbeitgeber berechtigt, die Vorlage der ärztlichen Bescheinigung bereits früher zu verlangen. Dauert die Arbeitsunfähigkeit länger als in der Bescheinigung angegeben, sind Arbeitnehmer verpflichtet, eine neue ärztliche Bescheinigung in Papierform vorzulegen.

Was bleibt gleich?

Nach Einführung der eAU bleiben Arbeitnehmer weiterhin verpflichtet,

  • die Arbeitsunfähigkeit und deren voraussichtliche Dauer dem Arbeitgeber unverzüglich mitzuteilen,

  • diese zu den oben genannten Zeitpunkten bei einem Arzt feststellen und

  • sich von dem Arzt eine ärztliche Bescheinigung in Papierform aushändigen zu lassen.

Was ändert sich für Arbeitnehmer?

Ab dem 01. Januar 2023 sind gesetzlich krankenversicherte Arbeitnehmer nicht mehr verpflichtet, dem Arbeitgeber eine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung in Papierform vorzulegen. Diese müssen lediglich das Bestehen und die voraussichtliche Dauer der Arbeitsunfähigkeit bei einem Arzt feststellen und sich eine ärztliche Bescheinigung für Beweiszwecke, z.B. für den Fall einer fehlgeschlagenen elektronischen Übermittlung, aushändigen lassen.

Hinweis: Dies gilt nicht für Arbeitsunfähigkeiten im Ausland sowie für privatversicherte Arbeitnehmer und geringfügig Beschäftigte in Privathaushalten. Diese sind weiterhin verpflichtet, dem Arbeitgeber eine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung in Papierform vorzulegen.

Was ändert sich für Arbeitgeber?

Nachdem der Arbeitnehmer dem Arbeitgeber die Arbeitsunfähigkeit mitgeteilt hat, muss der Arbeitgeber selbst aktiv werden und zunächst Folgendes prüfen:

  • Ist der Arbeitnehmer gesetzlich oder privat krankenversichert?

  • Hält sich der Arbeitnehmer derzeit im Inland oder im Rahmen von Mobiler Arbeit bzw. einer Dienstreise im Ausland auf?

Kommt die Prüfung zu dem Ergebnis, dass der Arbeitnehmer gesetzlich krankenversichert und derzeit im Inland tätig ist, so ist der Arbeitgeber anschließend in der Pflicht, die Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung bei der Krankenkasse des Arbeitnehmers elektronisch abzurufen. Die Krankenkasse hat nach Eingang der Arbeitsunfähigkeitsdaten für den Arbeitgeber eine Meldung erstellt, die folgende Daten erhält:

  • Name des Arbeitnehmers

  • Beginn und Ende der Arbeitsunfähigkeit

  • Datum der ärztlichen Feststellung der Arbeitsunfähigkeit

  • Erst- oder Folgebescheinigung

  • Anhaltspunkte für einen Arbeitsunfall

Hinweis: Nicht übermittelt wird dagegen, welcher Arzt mit welcher Fachrichtung die Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung ausgestellt hat. Diese Information konnte in der Vergangenheit insbesondere bei Zweifeln an dem Beweiswert der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung von Nutzen sein.

Ein Abruf der eAU bei der Krankenkasse darf durch den Arbeitgeber nur dann erfolgen, wenn dieser zum Erhalt der Daten berechtigt ist. Für das Vorliegen der Berechtigung muss für den angefragten Zeitraum ein Beschäftigungsverhältnis bestehen und der Arbeitnehmer muss dem Arbeitgeber die abzurufende Arbeitsunfähigkeit vorab mitgeteilt haben. Der Arbeitgeber darf also nicht versuchen, bei Verdacht auf Arbeitsunfähigkeit eine eAU abrufen zu können, sofern der Arbeitnehmer unentschuldigt der Arbeit fernbleibt.

Hinweis: Nach derzeitiger Rechtslage sind Arbeitgeber berechtigt, die Fortzahlung der Vergütung zu verweigern, wenn Arbeitnehmer keine ärztliche Bescheinigung vorlegen. Dies wird nach Einführung der eAU jedoch nur noch für privat krankenversicherte Arbeitnehmer gelten können, da die Verpflichtung zur Vorlage der ärztlichen Bescheinigung für gesetzlich krankenversicherte Arbeitnehmer grundsätzlich entfallen wird. Eine entsprechende Anpassung des Gesetzestextes im Hinblick auf das eAU-Verfahren ist derzeit nicht vorgesehen. Es bleibt abzuwarten, ob nach künftiger Rechtsprechung der Arbeitsgerichte den Arbeitgebern ein entsprechendes Leistungsverweigerungsrecht zugestanden wird, wenn gesetzlich krankenversicherte Arbeitnehmer ihrer Verpflichtung, die Arbeitsunfähigkeit von einem Arzt feststellen zu lassen, nicht nachkommen.

Mitbestimmungsrechte des Betriebsrats?

Mitbestimmungsrechte hat der Betriebsrat grundsätzlich nur, wenn keine gesetzliche oder tarifliche Regelung besteht. Da die Anzeige-, Nachweis- und Feststellungspflichten im Rahmen des eAU-Verfahrens bereits in der Neufassung des § 5 EFZG gesetzlich geregelt sein werden, wird der Betriebsrat keine Mitbestimmungsrechte haben, sofern es lediglich um die Umsetzung der gesetzlichen Vorgabe geht.

Etwas anders kann jedoch insbesondere dann gelten, wenn über die gesetzlichen Vorgaben hinaus weitere Verhaltensregeln der Arbeitnehmer getroffen werden sollen oder eine technische Einrichtung eingeführt wird, die den Betriebsrat zur Überwachung der datenschutzrechtlichen Vorgaben berechtigt.

Was sollte der Arbeitgeber bereits jetzt tun?

Der Arbeitgeber sollte bereits jetzt prüfen, ob einzelvertragliche oder kollektivrechtliche Regelungen angepasst werden müssen. Da die Einführung der eAU obligatorisch ist, darf von dieser Regelung nicht zuungunsten des Arbeitnehmers abgewichen werden. Es darf also weder vertraglich noch kollektivrechtlich vereinbart werden, dass auch nach Einführung der eAU weiterhin alle Arbeitnehmer verpflichtet sind, die Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung in Papierform vorzulegen. Es ist demnach ratsam, den Arbeitnehmern ein Informationsschreiben in Bezug auf die veränderten Pflichten bei Arbeitsunfähigkeit infolge Krankheit vorzulegen und im Hinblick auf künftige Arbeitsverhältnisse die Regelungen in den Muster-Arbeitsverträgen entsprechend anzupassen. Sofern kollektivrechtliche Regelungen existieren, sollten diese ebenfalls entsprechend angepasst werden, um Unsicherheiten über die Wirksamkeit der Regelungen zu vermeiden.

Fazit

In Hamburg sagt man Tschüss, das heißt auf Wiedersehen, gelber Schein: Während gesetzlich krankenversicherte Arbeitnehmer grundsätzlich nicht mehr verpflichtet sein werden, eine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung in Papierform vorzulegen, bleibt diese Verpflichtung für privat krankenversicherte Arbeitnehmer weiterhin bestehen. Arbeitgeber werden künftig genau prüfen müssen, welche Arbeitnehmer gesetzlich oder privat krankenversichert und welche im Inland oder Ausland tätig sind.