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Annahmeverzugslohnrisiken wirksam minimieren – worauf sollten Arbeitgeber achten?

van_portraits_840x840px_04_weuthen-1665127648.png Dr. Christopher Weuthen
Lena Kern

April 2025

Lesedauer: 5 Min

Trennungen – gleich ob einvernehmlich oder einseitig – sind Bestandteil des Arbeitslebens. Nicht selten folgt auf eine vom Arbeitgeber ausgesprochene Kündigung ein (oftmals mehrmonatiger) Rechtsstreit vor dem Arbeitsgericht. Steht am Ende eines solchen Kündigungsschutzprozesses die gerichtlich ausgeurteilte Unwirksamkeit der Kündigung, verwirklicht sich für den Arbeitgeber in vielen Fällen das sogenannte Annahmeverzugslohnrisiko. Der Arbeitgeber ist verpflichtet, die nach Ablauf der Kündigungsfrist nicht mehr gezahlte Vergütung an den Arbeitnehmer nachzuzahlen. Insbesondere bei jahrelang dauernden Prozessen durch die Instanzen kann das Annahmeverzugslohnrisiko beträchtliche Beträge erreichen. Dieses Umstands sind sich Arbeitnehmer(-vertreter) in der Regel bewusst und setzen das Annahmeverzugslohnrisiko gerne als Druckmittel im Rahmen von Abfindungsverhandlungen ein. Derartigen Versuchen können Arbeitgeber jedoch mit Kenntnis der aktuellen Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts (BAG) vom 07.02.2024 – 5 AZR 177/23 entgegentreten.

Was war passiert?

Die Beklagte kündigte das Arbeitsverhältnis mit dem bei ihr seit Mai 1991 als Maschinenbeschicker tätigen Kläger im November 2017 außerordentlich fristlos sowie hilfsweise ordentlich fristgerecht. Nachdem das Landesarbeitsgericht in zweiter Instanz die Unwirksamkeit der Kündigung festgestellt hatte, machte der Kläger Annahmeverzugslohn für den Zeitraum vom 1. Januar 2018 bis zum 30. August 2020 geltend. Der Kläger hatte der Agentur für Arbeit den Zugang der Kündigung im Dezember 2017 mitgeteilt und bezog nach Ablauf einer verhängten Sperrzeit bis einschließlich Januar 2019 Arbeitslosengeld. Während dieses Zeitraums unterbreitete die Agentur für Arbeit dem Kläger keine Stellenangebote, weil er per E-Mail mitgeteilt hatte, dass er dies nicht wünsche und potenziellen Arbeitgebern bei Bewerbungen – noch vor einem Vorstellungsgespräch – mitteilen werde, dass er ein Kündigungsschutzverfahren gegen seinen letzten Arbeitgeber führe und er unbedingt dort weiterarbeiten wolle. Eigenständige Bemühungen um eine anderweitige Beschäftigung unternahm der Kläger in diesem Zeitraum ebenfalls nicht. Die Beklagte übermittelte dem Kläger keine Stellenangebote, auf die er sich hätte bewerben und zumutbaren Verdienst erzielen können.

Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts

Im Mittelpunkt von Annahmeverzugslohnprozessen steht regelmäßig die Frage, in welchem Umfang der Arbeitnehmer Eigenbewerbungsbemühungen entfalten muss, um sich nicht dem Vorwurf eines böswilligen Unterlassens anderweitigen Verdienstes auszusetzen. Das BAG hat in seiner jüngsten Entscheidung die Voraussetzungen des böswilligen Unterlassens weiter konkretisiert. Die Prüfung müsse anhand einer Gesamtabwägung der beiderseitigen Interessen unter Bewertung aller Umstände des konkreten Einzelfalls erfolgen. In diese Gesamtabwägung lässt das BAG unter anderem nachfolgende Aspekte einfließen:

  • Eine erste Orientierung bieten die sozialrechtlichen Handlungspflichten. Ein böswilliges Unterlassen liege regelmäßig nicht vor, wenn der Arbeitnehmer sich nach einer Kündigung bei der Agentur für Arbeit arbeitssuchend melde und Vermittlungsangeboten der Arbeitsagentur „sachgerecht“ nachgehe. Dies gelte darüber hinaus auch für geeignete Stellenangebote, die der Arbeitgeber an den Arbeitnehmer übermittle. Das BAG stellt weiter fest, dass es nicht immer ausreiche, auf zumutbare Vermittlungsangebote der Agentur für Arbeit warten. Vielmehr könne der Arbeitnehmer selbst auch zur Abgabe von eigenen Angeboten verpflichtet sein, wenn sich ihm eine realistische zumutbare Arbeitsmöglichkeit biete. Die Verpflichtung zu eigenen Bewerbungsbemühungen gehe aber nicht so weit, dass sich der Arbeitnehmer unermüdlich im zeitlichen Umfang einer Vollzeitstelle um eine zumutbare Arbeit kümmern müsse. Das BAG erteilt an dieser Stelle der vielbeachteten gegenteiligen Entscheidung des LAG Berlin-Brandenburg (Urt. v. 30.09.2022 – 6 Sa 280/22) eine deutliche Absage.

  • Ferner setzt sich das BAG aus Anlass des konkreten Falls mit der Frage auseinander, wie aktive „Verhinderungsbemühungen“ um einen anderweitigen Arbeitsplatz bzw. entsprechende Vermittlungsangebote zu beurteilen sind. Zwar dürfe der Arbeitnehmer im Rahmen von Bewerbungsprozessen auf Nachfrage wahrheitsgemäße Angaben zur Situation bezüglich des gekündigten „vorherigen“ Arbeitsverhältnisses machen. Zu weit gehe jedoch ein Verhalten wie dasjenige des Klägers. Durch seine Ankündigung gegenüber der Agentur für Arbeit habe er aktiv auf eine Verhinderung erfolgreicher Vermittlungsbemühungen abgezielt. Ein derartiges Verhalten sei nicht schutzwürdig und im Rahmen eines Annahmeverzugslohnprozesses zu Lasten des Arbeitnehmers zu berücksichtigen.

  • Sodann konkretisiert das BAG den Begriff der „Zumutbarkeit“ anderweitiger Arbeit zur Erzielung eines Zwischenverdienstes. Inwieweit eine Verschlechterung der Arbeitsbedingungen in Bezug auf Art, Arbeitszeit, Arbeitsort sowie Verdienst vom Arbeitnehmer hinzunehmen seien, sei eine Einzelfallentscheidung. Nicht zumutbar sei die Annahme einer anderweitigen Tätigkeit jedenfalls, wenn diese Tätigkeit eine gegen ein Wettbewerbsverbot verstoßende Konkurrenztätigkeit darstelle oder der damit zu erzielende Nettoverdienst unter dem Arbeitslosengeld I liege.

  • In prozessualer Hinsicht bestätigt das BAG seine bisherige Rechtsprechung zur Darlegungs- und Beweislast und ergänzt diese angesichts des hier vorliegenden Sachverhalts. Legt der Arbeitgeber konkret dar, dass für den Arbeitnehmer im Verzugszeitraum eine anderweitige und zumutbare Beschäftigungsmöglichkeit bestanden habe, müsse der Arbeitnehmer wiederum darlegen und ggfs. beweisen, dass eine Bewerbung auf diese Stelle erfolglos gewesen wäre. Denn durch sein Verhalten gegenüber der Arbeitsagentur habe er verhindert, dass ihm die Beschäftigungsmöglichkeiten tatsächlich angeboten wurden und er Angaben zum Ablauf und den Details einer Bewerbung auf diese Stellen machen könne. 

Fazit

Zur Einschätzung und Reduzierung des Annahmeverzugslohnrisikos sollten Arbeitgeber insbesondere folgende Punkte berücksichtigen:

Bereits im Kündigungsschreiben sollten Arbeitgeber auf die Meldeobliegenheit des Arbeitnehmers gegenüber der Agentur für Arbeit gem. § 38 Abs. 1 SGB III hinweisen.

Ferner ist es dringend anzuraten, dem Arbeitnehmer bereits frühzeitig sowie regelmäßig konkrete sowie geeignete Stellenangebote zu übermitteln und ihn aufzufordern, entsprechende Bewerbungsbemühungen nachzuweisen. Für die Recherche nach geeigneten Stellenangeboten stehen neben den öffentlich zugänglichen Angeboten der Agentur für Arbeit die zahlreichen privaten Jobportale zur Verfügung. Die gleichwohl oftmals als lästig empfundene und daher vernachlässigte Recherche lässt sich durch die Nutzung KI-gestützter Suchroutinen sehr ressourcenschonend und zielgenau durchführen.

Hierbei unterstützen wir Sie gerne zusammen mit unserem exklusiven Kooperationspartner Talent-Placement. Durch die Bündelung der KI-Tools von Talent-Placement, einem Zugriff auf die größte Stellenanzeigen-Datenbank Europas der index Anzeigengruppe sowie unserer rechtlichen Expertise können wir schnell und unkompliziert passgenaue Stellenangebote identifizieren und dem Arbeitnehmer, sodann aufbereitet, nach den von der Rechtsprechung vorgegebenen Grundsätzen übermitteln. In unserer Beratungspraxis machen wir durch die Nutzung der uns zur Verfügung stehenden Suchtools regelmäßig sehr gute Erfahrungen und erzielen schnelle und zielgenaue Suchergebnisse für zahlreiche Mandanten unterschiedlichster Branchen.

Denkbar ist zudem, auf das vertragliche Wettbewerbsverbot ausdrücklich bis zur rechtskräftigen Beendigung des Kündigungsschutzprozesses zu verzichten, um anderweitige Beschäftigungsmöglichkeiten des Arbeitnehmers zu erhöhen.

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