Die Rechtsprechung zu den Obliegenheiten des Arbeitnehmers bei Geltendmachung von Annahmeverzugslohnansprüchen im Anschluss an eine unwirksame Kündigung hat seit einigen Jahren an Dynamik gewonnen. Zuletzt haben wir in unserem Blogbeitrag „Annahmeverzugslohnrisiken wirksam minimieren – worauf sollten Arbeitgeber achten?“ erläutert, wie Arbeitgeber Annahmeverzugslohnrisiken minimieren und sich in einem Annahmeverzugslohnprozess gegen derartige Forderungen verteidigen können. Dieses nach wie vor weite Spielfeld hat das LAG Köln (Urteil v. 7.1.2025 – 7 SLa 78/24) jüngst um eine weitere Nuance ergänzt.
Was war passiert?
Der Kläger ist seit 2015 als Berufskraftfahrer bei der Beklagten beschäftigt. Die Beklagte kündigte das Arbeitsverhältnis im Juli 2022 außerordentlich fristlos sowie hilfsweise ordentlich fristgerecht. Nachdem das Arbeitsgericht Köln sowohl die außerordentlich fristlos als auch die hilfsweise ordentlich fristgerecht ausgesprochene Kündigung im April 2023 als unwirksam einstufte, beschäftigte die Beklagte den Kläger seit Mai 2023 weiter. Mit Schreiben vom 03. Mai 2023 forderte die Beklagte den Kläger dazu auf, ihr Auskünfte über Vermittlungsvorschläge der Bundesagentur für Arbeit sowie über seine Bewerbungsbemühungen für den Zeitraum des Annahmeverzugs zu erteilen. Daraufhin legte der Kläger Übersichten über Vermittlungsvorschläge der Bundesagentur für Arbeit sowie zum Nachweis von Bewerbungen aus Eigenbemühungen vor. Die Übersicht zum Nachweis von Eigenbemühungen enthielt insgesamt 65 Bewerbungen, wobei in 62 Fällen als Ergebnis „keine Antwort“ notiert war. Eine Bewerbung enthielt den Eintrag „wg. KSch-Verf nicht genommen“. Weitere Angaben zu Inhalt und Form der Bewerbungen enthielten die vom Kläger vorgelegten Übersichten nicht.
Die Beklagte verweigerte daraufhin die Zahlung von Annahmeverzugslohn mit der Begründung, der Kläger habe böswillig die Erzielung anderweitigen Verdienstes unterlassen. Der Kläger sei seiner Auskunftspflicht über seine Bewerbungsbemühungen nicht vollständig nachgekommen. Es sei unrealistisch, dass er auf seine zahlreich behaupteten Bewerbungen nicht einmal eine Antwort erhalten habe.
Das Arbeitsgericht gab der daraufhin vom Kläger erhobenen Klage auf Zahlung von Annahmeverzugslohn statt. Die dagegen gerichtete Berufung der Beklagten hatte vor dem Landesarbeitsgericht Köln überwiegend Erfolg.
Entscheidung des Landesarbeitsgerichts Köln
Das LAG hat der Berufung der Beklagten überwiegend stattgegeben und festgestellt, dass der Kläger – jedenfalls zum Zeitpunkt der Entscheidung – keinen Anspruch auf den begehrten Annahmeverzugslohn aus § 615 Satz 1 BGB iVm. § 611a Abs. 2 BGB habe, weil der Kläger seiner Auskunftspflicht (noch) nicht ausreichend nachgekommen sei. Ausgangspunkt der Argumentation des LAG ist dabei folgende Feststellung:
Es mache rechtlich keinen Unterschied, ob jemand die Aufnahme anderer Arbeit durch schlichte Untätigkeit und mangelnde Bewerbungsbemühungen vereitele oder sich zwar formal bewerbe, aber durch den Inhalt seiner Bewerbung direkt oder konkludent zum Ausdruck bringe, an einer Arbeitsaufnahme überhaupt nicht interessiert zu sein. Eine Bewerbung "in unangemessener Form" sei einer Nichtbewerbung gleichzusetzen, wenn ein Bewerbungsschreiben allein schon wegen seines objektiven Inhalts bzw. seiner Form von Arbeitgebern gemeinhin von vornherein als unbeachtlich oder offensichtlich unernst gemeint behandelt werde.
Ausgehend von diesem Grundsatz kommt das LAG Köln im vorliegenden Fall zu der Einschätzung, dass die von der Beklagten vorgetragenen Indizien ausreichend seien, um die Vermutung zu stützen, der Kläger habe lediglich „Scheinbewerbungen“ abgegeben. Im Einzelnen leitet das LAG diese Einschätzung aus den nachfolgenden Indizien ab:
Sehr hohe Anzahl von fehlenden Reaktionen gleich welcher Art auf Bewerbungen in einer Branche, in der unstreitig ein großer Arbeitskräftemangel herrsche und für die der Kläger die notwendige Qualifikation mitbringe.
Die erstaunlich hohe Quote von über 95 % an fehlenden Reaktionen deute darauf hin, dass mit den Bewerbungen etwas nicht stimme, zumal unter den potenziellen Arbeitgebern auch namhafte Unternehmen seien, von denen man auf eine ernstgemeinte Bewerbung zumindest eine Reaktion erwarten würde.
Die vom Kläger erteilte Auskunft, in der er als Reaktion auf eine Bewerbung "wg. KSch-Verf nicht genommen" angegeben habe. Hierdurch dränge sich die naheliegende Vermutung auf, dass der Kläger das laufende Kündigungsschutzverfahren in seiner Bewerbung proaktiv mitgeteilt habe. Dies entspräche aber nicht dem Verhalten einer tatsächlich um eine Beschäftigung bemühten Person.
In Bezug auf die der Beklagten obliegenden Darlegungs- und Beweislast und die daraus resultierende Beweisnot stellt das LAG fest:
Die Beklagte könne sich die erforderlichen Informationen über die Ernsthaftigkeit der Bewerbungsbemühungen nicht selbst auf zumutbare rechtmäßige Weise beschaffen. Insbesondere sei es nicht erfolgversprechend, dass die Beklagte bei den genannten Unternehmen nachfragt und die Bewerbungsunterlagen erbittet. Denn insoweit sei anzunehmen, dass diese Unternehmen mit Blick auf die datenschutzrechtlichen Bestimmungen der Beklagten keine Auskunft erteilen.
Um die Ernsthaftigkeit der vom Kläger behaupteten Bewerbungen abschließend zu prüfen, könne die Beklagte daher in diesem Fall vom Kläger auch Auskunft über Form und Inhalt der von ihm abgegebenen Bewerbungen verlangen. Solange der Kläger darüber keine Auskunft erteile, habe die Beklagte ein Leistungsverweigerungsrecht und könne die Zahlung von Annahmeverzugslohn verweigern.
Fazit und Handlungsoptionen für Arbeitgeber
Die Entscheidung des LAG Köln fügt der aktuellen Diskussion um das Thema „Annahmeverzug“ einen weiteren Mosaikstein hinzu. Sie bestätigt zudem, dass Arbeitgeber in entsprechenden Konstellationen durchaus erwägen sollten, behauptete Bewerbungsbemühungen des Arbeitnehmers genau zu überprüfen und in diesem Zusammenhang frühzeitig proaktiv tätig zu werden, etwa durch Übersendung konkreter Stellenanzeigen über zumutbare Stellenangebote. Liegen konkrete Anhaltspunkte dafür vor, dass der Arbeitnehmer lediglich Bewerbungen „zum Schein“ abgegeben hat, können Arbeitgeber die Zahlung von Annahmeverzugslohn so lange verweigern, bis der Arbeitnehmer konkrete Auskünfte über Inhalt und Form seiner Bewerbungen erteilt.
Wichtig ist in diesem Zusammenhang, dass der Arbeitgeber konkrete Indizien vorträgt, welche die Abgabe von „Scheinbewerbungen“ vermuten lassen. Das bloße Anzweifeln oder Bestreiten der Ernsthaftigkeit der Bewerbungsbemühungen ohne konkrete Anhaltspunkte für Zweifel reicht nicht aus, wie eine Entscheidung des LAG Rheinland-Pfalz (LAG Rheinland-Pfalz vom 30.1.2024 – 8 Sa 71/23) zeigt.
Einsatz von Talent Placement View
An dieser Stelle können wir durch den Einsatz unseres gemeinsam mit unserem exklusiven Kooperationspartner Talent-Placement entwickelten Tool „Talent Placement View“ Arbeitgeber dabei unterstützen, Annahmeverzugslohnrisiken effektiv und einfach zu reduzieren.
Mithilfe unseres Legal-Tech-Tools sind wir in der Lage, vollständig datenschutzkonform frühzeitig Auskünfte über tatsächliche Bewerbungsbemühungen des Arbeitnehmers zu erhalten. Diese Möglichkeit bietet die Grundlage, konkrete Indizien für „Scheinbewerbungen“ zu identifizieren und gegebenenfalls im Annahmeverzugslohnprozess einzuwenden. Die Vorteile eines von Beginn an planmäßigen Vorgehens unter Einsatz der entsprechenden Tools werden durch die Entscheidung des LAG Köln nochmals verdeutlicht.
Bei Fragen zur Vorbereitung sowie zum systematischen Vorgehen im Annahmeverzugslohnprozess sowie insbesondere zu Talent Placement (View) stehen Ihnen unsere Anwälte Herr Dr. Christopher Weuthen und Herr Sebastian Juli und gerne zur Verfügung.
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April 2025
- Dr. Christopher Weuthen
- Lena Kern