Am 24. März 2015 stürzte Germanwings-Flug 9525 auf dem Weg von Barcelona nach Düsseldorf in den französischen Alpen ab. 150 Menschen kamen ums Leben – viele von ihnen Kinder. Der Auslöser: eine psychotisch-depressive Episode des Co-Piloten. Der Vorfall offenbarte auf tragische Weise die Schwächen eines Systems, das psychische Gesundheit erkennen und schützen sollte. Seither rückt das Thema psychische Belastung im Arbeitskontext zunehmend in den Fokus – und es bleibt aktueller denn je. In Zeiten wirtschaftlicher Unsicherheit, digitaler Transformation und permanenter Veränderung steigt der Druck auf Arbeitnehmende kontinuierlich. Für Unternehmen ergibt sich daraus nicht nur eine moralische, sondern auch eine wirtschaftliche und rechtliche Verantwortung. Mentale Gesundheit ist längst kein Randthema mehr – sie ist ein zentraler Bestandteil moderner Personalpolitik.
Der Status quo: Zahlen, die zum Handeln auffordern
Laut einer aktuellen Studie von „Great Place to Work“ schätzen lediglich 56 % der befragten Mitarbeitenden ihre mentale Gesundheit als gut ein. Die drei am häufigsten genannten arbeitsbedingten Risiken sind sämtlich psychischer Natur: Burnout (31 %), Boreout (23 %) sowie Stress durch Notfälle und Krisenmanagement (20 %). Auch aus volkswirtschaftlicher Perspektive ist die Bedeutung enorm. Über 50 % der krankheitsbedingten Fehltage in der EU gehen auf psychische Ursachen zurück. Die daraus resultierenden Produktivitätsverluste und Abwesenheitskosten belaufen sich auf mehr als 130 Milliarden Euro jährlich.
Zwischen Anspruch und Wirklichkeit: Was Unternehmen leisten – und leisten sollten
Zahlreiche Unternehmen haben mittlerweile Initiativen zur Förderung der psychischen Gesundheit aufgesetzt – von Resilienztrainings über flexible Arbeitsmodelle bis hin zu anonymen Beratungsangeboten. Doch oft bleibt es bei punktuellen Maßnahmen. Eine strategische, ganzheitliche Verankerung im Unternehmen fehlt vielerorts. Ein Blick nach Großbritannien zeigt: Dort berichten bereits 56 % der Unternehmen von einem Anstieg der Anfragen zur mentalen Gesundheitsunterstützung. In Deutschland sind es lediglich 27 %. Diese Diskrepanz deutet darauf hin, dass das Thema hierzulande vielfach noch nicht offen genug adressiert wird. Dabei ist der Handlungsdruck hoch. In Frankreich etwa kann ein Burnout oder Boreout inzwischen als arbeitsbedingte Erkrankung eingestuft werden – mit potenziell weitreichenden Konsequenzen für Unternehmen. Auch in Deutschland ist eine zunehmende Sensibilisierung in der Rechtsprechung zu beobachten.
Hürden erkennen – und überwinden
Ein zentrales Problem: Psychische Belastungen werden häufig zu spät erkannt. Es fehlen strukturierte Früherkennungsmechanismen, geschulte Führungskräfte und niederschwellige Zugänge zu Hilfsangeboten. Mitarbeitende befürchten Nachteile oder Stigmatisierung, wenn sie über ihre mentale Verfassung sprechen – was die Inanspruchnahme entsprechender Maßnahmen hemmt. Zudem sind viele Angebote nicht ausreichend kommuniziert oder passen nicht zu den tatsächlichen Bedürfnissen der Mitarbeitenden. Ohne das klare Bekenntnis und die Unterstützung der Unternehmensleitung bleibt das Thema häufig in der operativen Umsetzung stecken.
Konkrete Handlungsempfehlungen für Arbeitgeber
Für Unternehmen bietet sich eine Vielzahl an Hebeln, um die mentale Gesundheit aktiv zu fördern. Dazu gehören unter anderem:
Aufbau einer offenen Gesprächskultur, die psychische Belastung enttabuisiert
Einführung flexibler und individueller Arbeitsmodelle
Zugang zu externen, professionellen Beratungsangeboten
Schulung von Führungskräften im Erkennen und Ansprechen psychischer Belastungen
Nutzung digitaler Tools wie Gesundheitsplattformen oder Chatbots
Auswertung von Abwesenheitsdaten und regelmäßige Mitarbeiterbefragungen zur Früherkennung
Wichtig ist, dass Maßnahmen nicht isoliert betrachtet, sondern als Teil einer übergeordneten Gesundheits- und Unternehmenskultur verstanden werden.
Fazit
Mentale Gesundheit am Arbeitsplatz ist längst kein „weiches Thema“ mehr. Sie betrifft die Leistungsfähigkeit von Teams ebenso wie die rechtliche Absicherung und das Zukunftspotenzial eines Unternehmens. Prävention, Dialog und strukturelle Maßnahmen sind entscheidende Stellschrauben für eine nachhaltige Arbeitswelt. Der heutige World Mental Health Day kann als Anlass dienen, das eigene Engagement kritisch zu hinterfragen – und neue Impulse zu setzen. Denn wer mentale Gesundheit schützt, stärkt nicht nur die Mitarbeitenden, sondern auch die eigene Organisation.
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