Die Entscheidung des BAG vom 12. Juni 2019
Das Bundesarbeitsgericht entdeckt die Matrix: In einer aktuellen Entscheidung vom 12.06.2019 (Az.: 1 ABR 5/18) beschäftigte sich das BAG erstmals mit dem betriebsübergreifenden Einsatz von Führungskräften in der Matrixstruktur und deren Auswirkungen auf die Mitbestimmungsrechte der Betriebsräte. Die Entscheidung ist für jeden Arbeitgeber, der unternehmens- oder betriebsfremde Führungskräfte in einer Matrixstruktur einsetzt, relevant.
Was bedeutet „Matrixstruktur“?
Der Einsatz von Mitarbeitern in „echter“ Matrixstruktur erfolgt in der Regel dergestalt, dass der jeweilige Vertragsarbeitgeber das fachliche Weisungsrecht („dotted line“) an die – nicht selten bei anderen Konzerngesellschaften beschäftigten – Matrixmanager überträgt, das disziplinarische Weisungsrecht („solid line“) aber bei ihm verbleibt. Während das fachliche Weisungsrecht den konkreten Inhalt der Arbeitsleistung bestimmt, umfasst der disziplinarische Teil arbeitsrechtliche Komponenten wie z.B. Urlaubserteilung, Erarbeitung von Beurteilungen und Zielvorgaben/-vereinbarungen, Aufstellung von Verhaltens-Richtlinien, Abmahnungen und Kündigungen. Ausgeübt wird das fachliche Weisungsrecht in der Regel in Ausübung einer sogenannten Ausübungsermächtigung.
Der Sachverhalt der BAG-Entscheidung vom 12.06.2019 (Az.: 1 ABR 5/18)
Die betroffene Führungskraft wurde von seinem Arbeitgeber (einem matrixorganisierten Telekommunikationsunternehmen) zum Leiter des Bereichs „Standard Fulfillment“ befördert. Der Mitarbeiter hatte seinen Dienstsitz in der (inländischen) Unternehmenszentrale. Die ihm fachlich unterstellten Mitarbeiter waren überwiegend im Betrieb „Region West“ beschäftigt. Sowohl in der Zentrale als auch für die Region West war jeweils ein Betriebsrat gebildet. Die Beförderung der Führungskraft erfolgte nach vorheriger Zustimmung des Betriebsrates des Zentrale. Der Betriebsrat der Region West verweigerte demgegenüber die vorsorglich beantragte Zustimmung zur „Versetzung“ der Führungskraft, da der Arbeitgeber die von der Führungskraft in seinem Betrieb zu besetzende „Stelle“ nicht auch dort ausgeschrieben hatte. Der Arbeitgeber beantragte die arbeitsgerichtliche Zustimmungsersetzung.
Die Entscheidung des BAG
Das BAG entschied zunächst, dass eine Führungskraft, die in Matrix-Struktur betriebsübergreifend Führungsaufgaben wahrnimmt, in mehreren Betrieben gleichzeitig eingegliedert sein kann. Das BAG stellte weiter klar, dass die von der Arbeitgeberin als „Versetzung“ bezeichnete personelle Maßnahme rechtlich eine Einstellung im Betrieb West darstelle. Die nach ständiger Rechtsprechung des BAG für eine Einstellung i.S.v. § 99 BetrVG erforderliche Eingliederung des Arbeitnehmers in den Betrieb scheitere nicht schon daran, dass die Führungskraft im Betrieb physisch nicht anwesend sei (vgl. hierzu bereits BAG vom 13.12.2016 - 1 ABR 59/14). Nach Ansicht des BAG werde die Eingliederung der „Matrix-Führungskraft“ in den Betrieb der ihm fachlich unterstellten Mitarbeiter bereits dadurch verwirklicht, dass diese den dort tätigen Arbeitnehmern Weisungen erteile und sie unmittelbar anleite und fachlich führe. Im Ergebnis bejahte das BAG die Auffassung des Betriebsrates, wonach bereits die Übertragung fachlicher Weisungsbefugnisse an einen betriebsfremden Matrixmanager zu einer zustimmungspflichtigen Einstellung im Einsatzbetrieb führe.
Der Zustimmungsersetzungsantrag des Arbeitgebers war allerdings dennoch erfolgreich, da die Berufung des Betriebsrates auf eine vorherige Ausschreibung des „Stelle“ vom BAG abgelehnt wurde. Nach § 93 BetrVG sei Voraussetzung für die Ausschreibungspflicht, dass ein (bereits vorhandener oder neu geschaffener) Arbeitsplatz besetzt werden soll. Die Arbeitgeberin habe hier allerdings (trotz Einstellung im Betrieb) keinen „Arbeitsplatz“ besetzt, sondern lediglich Führungsaufgaben übertragen. Ein freier Arbeitsplatz im Betrieb West sei daher nicht gegeben.
Praxisfolgen
Beim Einsatz betriebsfremder Matrixmanager ist künftig darauf zu achten, den Betriebsrat des Einsatzbetriebes (in dem die unterstellten Mitarbeiter arbeiten) um dessen Zustimmung gem. § 99 BetrVG (Versetzung) zu ersuchen und diese im Verweigerungsfall arbeitsgerichtlich ersetzen zu lassen. Andernfalls drohen Maßnahmen des Betriebsrates gem. § 101 BetrVG (Aufhebungsbegehren) und § 23 BetrVG (Unterlassungsansprüche); zudem kann die betroffene Führungskraft ggf. die Tätigkeit im Einsatzbetrieb bis zur (gerichtlich ersetzten) Zustimmungserteilung verweigern.
Ob die betroffene Führungskraft nur im Betrieb des Arbeitsplatzes, oder auch im Einsatzbetrieb wahlberechtigt respektive wählbar ist und damit auch zur Ermittlung der betriebsverfassungsrechtlichen Schwellenwerte herangezogen werden muss, ließ das BAG in seiner Entscheidung ausdrücklich offen.
Aber: Keine Einstellung ohne Weisungsgebundenheit
Das BAG schränkte die Reichweite seiner Entscheidung allerdings in einem wichtigen Punkt ein: Die Beteiligungspflicht beim Einsatz betriebsfremder Matrix-Führungskräfte ist nach Ansicht des BAG explizit auf Manager beschränkte, die beim gleichen Arbeitgeber beschäftigt und damit einem einheitlichen Weisungsrecht unterworfen sind. Ausdrücklich grenzt das BAG damit den hier entschiedenen Fall von dem Einsatz von Drittpersonal in betrieblichen Führungspositionen ab (vgl. BAG vom 13.12.2005 - 1 ABR 51/04 - und vom 13.03.2001 - 1 ABR 34/00). Die bedeutet, dass im praktisch wohl häufigeren Fall, in dem die Matrix-Führungskräfte bei einem dritten (im Regelfall ebenfalls konzernzugehörigen) Unternehmen beschäftigt sind, nur dann eine Einstellung im Einsatzbetrieb erfolgt, wenn der Vertragsarbeitgeber des Matrix-Manager sein fachliches Weisungsrecht an das Unternehmen des Einsatzbetriebs delegiert. Verbleibt das fachliche Weisungsrecht über den Matrixmanager demgegenüber bei dessen Vertragsarbeitgeber, findet keine zustimmungspflichtige Einstellung im Einsatzbetrieb statt. Insofern können Unternehmen, die eine unternehmensübergreifende Matrixstruktur leben, jedenfalls dann „aufatmen“ und müssen den Betriebsrat des Einsatzbetriebes nicht gem. § 99 BetrVG beteiligen, wenn sie die Weisungsrechte gegenüber den von ihr eingesetzten Matrixmanager bei dessen (Konzern)Arbeitgeber belassen, d.h. nicht an das Unternehmen des Einsatzbetriebs delegieren.