Urteil des LAG Baden-Württemberg vom 25. März 2022
Die Offenbarung von Schriftsätzen der Gegenseite aus einem selbst angestrengten Gerichtsverfahren gegenüber der Betriebsöffentlichkeit, in denen Gesundheitsdaten anderer Beschäftigter enthalten sind, berechtigt den Arbeitgeber zur fristlosen Kündigung. Dies gilt auch, wenn es sich bei dem zu kündigenden Mitarbeiter um ein Mitglied des Betriebsrats handelt.
Eine Arbeitgeberin durfte einem langjährigen Mitarbeiter und Betriebsrat fristlos kündigen, nachdem dieser Schriftsätze der Gegenseite aus einem von ihm angestrengten Gerichtsverfahren der Betriebsöffentlichkeit offenbart hatte. Hintergrund war, dass die Schriftsätze Gesundheitsdaten anderer Beschäftigter enthielten. Der damit verbundene Eingriff in die Persönlichkeitsrechte der Betroffenen sei nicht gerechtfertigt gewesen, urteilte das Landesarbeitsgericht Baden-Württemberg (LAG) in einer aktuellen Entscheidung vom 25. März 2022 (7 Sa 63/21).
Der Fall
Der Kläger war seit September 1997 bei der Beklagten beschäftigt. Seit 2006 war er Mitglied des Betriebsrats und seit 2014 freigestelltes Betriebsratsmitglied. In dem zugrundeliegenden Fall stritten die Parteien über die Wirksamkeit einer außerordentlichen Kündigung, die bereits am 18. Januar 2019 ausgesprochen worden war und zu der das Betriebsratsgremium seine Zustimmung erteilt hatte.
Die Beklagte begründete die von ihr ausgesprochene Kündigung damit, dass der Kläger mit der Veröffentlichung von Prozessakten aus einem vorherigen Kündigungsschutzverfahren zwischen den Parteien, insbesondere von Schriftsätzen der Beklagten, gegen Bestimmungen des Datenschutzrechts verstoßen habe. In den Schriftsätzen der Beklagten seien nämlich unter anderem personenbezogene Daten, insbesondere auch Gesundheitsdaten, weiterer Mitarbeiter der Beklagten unter voller Namensnennung enthalten gewesen. Diese personenbezogenen Daten habe der Kläger einem größeren Verteilerkreis mithilfe eines Zugriffs auf eine sogenannte Dropbox offenbart.
Der Kläger hielt die Kündigung für unwirksam, da keine Vorschrift bestehe, die es gebiete, Prozessakten geheim zu halten. Im Übrigen sei ein Datenschutzverstoß auch schon deshalb abzulehnen, weil er mit Blick auf Art. 2 Abs. 2c DSGVO ausschließlich im Rahmen „persönlicher oder familiärer Tätigkeiten“ gehandelt und er im berechtigten Eigeninteresse gehandelt habe. Denn ihm stehe das Recht zu, zu dem Fall Stellung zu nehmen und zu informieren, insbesondere im Hinblick auf die ihn als Familienvater und Betriebsratsmitglied zutiefst belastenden Vorwürfe.
Schon in erster Instanz hatte das Arbeitsgericht mit Urteil vom 04.08.2021 die Kündigungsschutzklage abgewiesen. Nun blieb auch die hiergegen gerichtete Berufung des Klägers ohne Erfolg. Zur Begründung führte das LAG Folgendes aus: Wer im Rahmen eines von ihm angestrengten Gerichtsverfahrens bestimmte Schriftsätze der Gegenseite, in denen Daten, insbesondere auch besondere Kategorien personenbezogener Daten (Gesundheitsdaten), verarbeitet werden, der Betriebsöffentlichkeit durch die Verwendung eines zur Verfügung gestellten Links offenlegt und dadurch auch die Weiterverbreitungsmöglichkeit eröffnet, ohne dafür einen rechtfertigenden Grund zu haben, verletzt rechtswidrig und schuldhaft Persönlichkeitsrechte der in diesen Schriftsätzen namentlich benannten Personen. Die von dem Kläger behauptete Wahrnehmung berechtigter Eigeninteressen lag jedenfalls insofern nicht vor, als die schriftlichen Entscheidungsgründe des Urteils des erstinstanzlichen mit dem Fall befassten Arbeitsgerichts am Tage der Zurverfügungstellung des Dropbox-Links durch den Kläger noch nicht vorlagen und dem Kläger auch noch die Möglichkeit offenstand, gegen das Urteil das Rechtsmittel der Berufung einzulegen, um in diesem Verfahren seinen Standpunkt darzulegen.
Die vollständigen Entscheidungsgründe liegen im Zeitpunkt der Veröffentlichung dieses Beitrags noch nicht vor.
Maßgeblicher Kündigungsgrund
Aus der Pressemitteilung lässt sich zwar nicht eindeutig entnehmen, ob das LAG weniger den Verstoß gegen die DSGVO als solchen als maßgeblich für die Rechtfertigung der Kündigung erachtete, als vielmehr die Verletzung von Persönlichkeitsrechten der in den veröffentlichten Schriftsätzen namentlich benannten Mitarbeiter. Jedenfalls hat es den Sachverhalt aber für ausreichend angesehen, um die fristlose Kündigung des langjährigen beschäftigten Mitarbeiters und Betriebsratsmitglieds für gerechtfertigt zu erachten.
Bei den unter anderem veröffentlichten Gesundheitsdaten handelt es sich um besondere Kategorien personenbezogener Daten, an deren Verarbeitung Art. 9 DSGVO besondere Anforderungen stellt. Der Einwand des Klägers, dass es keine Norm gebe, wonach die Veröffentlichung von zivilrechtlichen Prozessakten ausdrücklich untersagt wäre, ist nichtsdestotrotz zutreffend. Auch finden arbeitsgerichtliche Verhandlungen grundsätzlich öffentlich statt. Wie das LAG das Urteil im Einzelnen begründet, bleibt daher abzuwarten.
Bemerkenswert an diesem Fall ist, dass das Betriebsratsgremium im Vorhinein seine Zustimmung zur Kündigung des Betriebsratsmitglieds erteilt hatte. Dies ist keinesfalls selbstverständlich, war hier aber erforderlich, da die Kündigung eines Betriebsratsmitglieds nach § 15 KSchG unzulässig ist, es sei denn, dass Tatsachen vorliegen, die den Arbeitgeber zur fristlosen Kündigung aus wichtigem Grund berechtigen, und dass die besagte Zustimmung des Betriebsrats (§ 103 BetrVG) vorliegt. Hätte der Betriebsrat seine Zustimmung vorliegend nicht erteilt, hätte der Arbeitgeberin noch die Möglichkeit offen gestanden, die Ersetzung der Zustimmung durch gerichtliche Entscheidung zu beantragen.
Fazit:
Es kann nach alledem festgehalten werden, dass das LAG den hohen Rang des Schutzes des Persönlichkeitsrechts und sensibler (Gesundheits-)Daten bestätigt und damit insbesondere Arbeitnehmern aufgibt, Vorsicht im Umgang mit diesen Daten walten zu lassen. Gleichzeitig sollten aber auch Arbeitgeber sich ins Gedächtnis rufen, dass ihrerseits Verstöße gegen die DSGVO bzw. die Persönlichkeitsrechte von Mitarbeitern und Dritten erhebliche Schadensersatzrisiken begründen können. Zudem drohen in arbeitsgerichtlichen Auseinandersetzungen Beweisverwertungsverbote, die zu einer Niederlage im Kündigungsschutzprozess führen können, wie etwa ein jüngeres Urteil des LAG Berlin-Brandenburg zeigt (Urteil v. 11.09.2020 – 9 Sa 584/20).
Zuletzt zeigt das Urteil des LAG Baden-Württemberg aber auch, dass es keinesfalls unmöglich ist, einem Betriebsrat bei Vorliegen von schwerwiegendem Fehlverhalten außerordentlich zu kündigen. Auch wird deutlich, welchen hohen Stellenwert der Datenschutz und den damit verbundenen Schutz von Persönlichkeitsrechten einnimmt.
Diese Entscheidung sollte Arbeitgeber daher ermutigen, bei groben Verfehlungen von Betriebsräten nicht davor zurückzuschrecken, den Weg über die außerordentliche Kündigung zu gehen.