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Crowdworker – Tatsächlich selbstständig oder doch Arbeitnehmer?

Januar 2021

Lesedauer: Min

Warum Anbieter der Online-Plattformen ihr Arbeitsmodell überprüfen sollten

Arbeitsmodell Crowdworking auf dem Vormarsch
Spätestens seit dem Jahr 2020 wird es kaum noch jemanden geben, der nicht schon einmal bewusst oder unbewusst Berührungspunkte mit dem Thema Crowdworking hatte. Die weltweite Corona-Pandemie vervielfacht auch hierzulande das Auftragsvolumen für Essenslieferdienste via Website oder über eine App auf dem Smartphone. Durch die zwangsweise Schließung der Gastronomie greifen viele darauf zurück, sich Essen nach Hause liefern zu lassen. Doch was in den Augen des Verbrauchers nach Abschluss des Bestellvorgangs durch wenige Klicks erledigt ist, stellt sowohl den Gesetzgeber als auch die Rechtsprechung vor nicht unerhebliche Probleme im Zusammenhang mit sog. Crowdworking, ein Thema, das weit über den in der Öffentlichkeit besonders präsenten Bereich der Lieferdienste hinausgeht. Angesichts der zunehmenden Verbreitung des Crowdworking gibt es derzeit verschiedene Bestrebungen, die Risiken für die Crowdworker durch eine Stärkung ihrer Position und Rechte zu verringern.

Doch wie genau funktioniert das Modell Crowdworking? Über Internetplattformen (sog. Crowdsourcing-Plattformen) werden der breiten Masse der Nutzer (sog. »Crowd«) Arbeitsaufträge angeboten. Diese nimmt der Crowdworker als Plattformnutzer an und führt ihn entsprechend aus. Im Falle der erfolgreichen Erledigung/ Ausführung des Auftrags erhält er sodann die mit dem Betreiber der Crowsourcing-Plattform (sog. »Crowdsourcer«) hierfür vereinbarte Vergütung.

Rechtsprechungsänderung des BAG
Bislang wurde die Arbeitnehmereigenschaft von Crowdworkern unter Verweis auf eine fehlende Verpflichtung zur Ausführung der angebotenen Aufträge abgelehnt. Dem ist die Rechtsprechung jüngst entgegengetreten. Das BAG hat mit Urteil vom 1. Dezember 2020 (9 AZR 102/20) erstmals die Arbeitnehmereigenschaft von Crowdworkern bejaht. Im zugrundeliegenden Fall nahm das Gericht im Rahmen einer Gesamtabwägung sämtlicher Umstände des Einzelfalles, insbesondere der konkreten Vorgaben bzgl. der Auftragsausführung, das Bestehen einer fremdbestimmten und deshalb weisungsabhängigen Tätigkeit an und qualifizierte dieVertragsbeziehung als Arbeitsverhältnis. Gleichwohl vermag diese Entscheidung keine Rechtssicherheit zu schaffen: Aufgrund der vielfältigen Gestaltungsmöglichkeiten zwischen den beteiligten Akteuren kann auch künftig nicht pauschal die Arbeitnehmereigenschaft angenommen werden. Wie so oft kommt es auf den Einzelfall an.

Im konkreten Fall hatte der Crowdworker aufgrund einer Rahmenvereinbarung mit dem Plattformbetreiber als registrierter Nutzer über einen Zeitraum von elf Monaten nahezu 3000 Aufträge für die Plattform ausgeführt. Hinsichtlich der konkreten Ausgestaltung der Ausführung eines Auftrages bestanden jedoch Besonderheiten: Zum einen musste der Crowdworker jeden Auftrag innerhalb eines Zeitfensters von zwei Stunden ausführen. Zum anderen sah die Rahmenvereinbarung die Möglichkeit einer zeitgleichen Bearbeitung mehrerer Aufträge lediglich bei vorherigem Erreichen einer bestimmten Anzahl von Aufträgen für das Nutzerkonto des Crowdworkers vor. Nur auf diese Weise konnte das nächsthöhere Level im Bewertungssystem erreicht und weitere Aufträge freigeschaltet werden.

Das BAG stellte fest, dass der hierdurch entstandene Anreiz für den Crowdworker, fortlaufend so viele Aufträge wie möglich anzunehmen, eine unselbstständige Tätigkeit begründen könne. Die Organisationsstruktur der Plattform lege eine Steuerung der Plattformnutzer nahe, sodass der Kläger nicht mehr frei über die Annahme von Aufträgen habe entscheiden können, ohne damit höhere Verdienstmöglichkeiten einzubüßen. Das Fehlen einer ausdrücklichen vertraglichen Verpflichtung zum Tätigwerden ist nach dem BAG dabei ebenso unerheblich, wie eine mangelnde Bezeichnung als Arbeitsvertrag. Maßgeblich sei allein die tatsächliche Tätigkeit, welche eine Eingliederung in die Organisationsstruktur der Plattform nahelege.

Geplante Stärkung von Crowdworkern durch den Gesetzgeber
Crowdworking soll auch nach dem Willen des Gesetzgebers künftig stärker gesetzlich reguliert werden, um Schutzlücken zu vermeiden und Rechtssicherheit zu schaffen. Handlungsbedarf besteht aus Sicht der Legislative insbesondere deshalb, da eine klare und verlässliche Abgrenzung zwischen Arbeitnehmern und einer selbstständigen Tätigkeit aufgrund der kleinteiligen Gestaltungsmöglichkeiten nicht ohne weiteres möglich ist.

Ziel der Bestrebungen des Bundesarbeitsministeriums (BMAS) ist es insbesondere, Crowdworker in die Rentenversicherung einzubeziehen. Darüber hinaus soll zu ihren Gunsten eine Beweislastumkehr greifen. Danach wäre bei bestehenden Anhaltspunkten für ein Arbeitsverhältnis der Crowdsourcer verpflichtet, zu beweisen, dass es ein solches gerade nicht vorliegt.

Risiken und Folgen für Unternehmen
Sowohl das jüngste Urteil des Bundesarbeitsgerichts als auch die Bemühungen des BMAS bergen nicht unerhebliche Risiken und Unsicherheiten für Unternehmer als Betreiber von Plattformen. In diesem Zusammenhang besteht nicht nur das Risiko, rückwirkend Sozialversicherungsbeiträge für einen fälschlicherweise nicht als Arbeitnehmer qualifizierten Crowdworker abführen zu müssen. Vielmehr kann es aufgrund der regelmäßig geringen Vergütung der Crowdworker pro ausgeführten Auftrag unter Umständen auch zu einer Nachzahlungspflicht hinsichtlich der Vergütung kommen. Wird festgestellt, dass ein Arbeitsverhältnis besteht, ist für die ausgeführte Tätigkeit des Crowdworkers gemäß § 612 Abs. 2 BGB eine übliche Vergütung zu zahlen, ohne dass eine bestimmte Vergütung explizit vereinbart wurde.

Vor diesem Hintergrund ist es für (potenzielle) Plattformbetreiber ratsam, die in ihrem Unternehmen bestehenden Vorgaben und Regelungen im Hinblick auf die vertragliche Gestaltung mit Crowdworkern genauer unter die Lupe zu nehmen und zu überprüfen, um böse Überraschungen zu vermeiden. Dies gilt umso mehr, als dass künftig neue und flexiblere Arbeitsmodelle wie Crowdsourcing in einer immer moderneren und digitaleren Arbeitswelt weiterhin an Bedeutung gewinnen werden. Eine möglichst eindeutige Gestaltung des Verhältnisses zwischen Crowdsourcer und Crowdworker ist spätestens dann unerlässlich, wenn die Bestrebungen des BMAS Gestalt annehmen.

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