Gerade in den letzten Monaten sind die Krankenstände in vielen Unternehmen in die Höhe geschnellt. Dies ist gerade in Zeiten des Fachkräftemangels ein enormes Problem. Dass es Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern in Deutschland aufgrund der freien Arztwahl und dem offenkundigen Interesse niedergelassener Ärzte an zufriedenen und empfehlungsgeneigten Patienten allzu leicht gemacht wird, sich per Krankschreibung „aus dem Rennen“ zu nehmen, tut sein Übriges, um das Thema Krankenstand zu einem personaloperativen „hot topic“ zu machen.
Aus diesem Grund fragen sich viele Arbeitgeber, welche Handlungsmöglichkeiten ihnen zur Verfügung stehen, um ihre Krankenstandszahlen wieder in den Griff zu bekommen. Nachgelagerte Kontrollmöglichkeiten – wie z.B. die Infragestellung von AU-Bescheinigungen oder gar krankheitsbedingte Kündigungen – sind mit hohen Hürden versehen, stehen allenfalls im Einzelfall und nur mit begrenzter Präventionswirkung zur Verfügung. Deutlich wirksamer sind demgegenüber vorgelagerte vertragliche Anreiz-/Motivationsinstrumente zur präventiven Vermeidung übermäßiger Krankschreibungen.
Da das vom Gesetzgeber in § 4a EFZG zur Verfügung gestellte Instrument der Kürzung einer ausgelobten Anwesenheitsprämie (Sonderzahlung) wegen seiner restriktiven Ausgestaltung als praxisuntauglich erwiesen hat, richtet sich der Fokus auf arbeitsvertragliche Regelungen zur Kürzung von vertraglichem (Zusatz-)Urlaub bei Überschreiten definierter Krankheitstage im Jahr.
§ 4a EFZG – klingt gut, ist aber (bewusst) schlecht gemacht
Das Entgeltfortzahlungsgesetz (EFZG) sieht seit über 20 Jahren in § 4a die Möglichkeit vor, eine ausgelobte Anwesenheitsprämie (Sonderzahlung) auch für Zeiten der Arbeitsunfähigkeit wegen Krankheit zu kürzen. Sondervergütungen sind geldwerte Leistungen, die der Arbeitgeber zusätzlich zum laufenden Arbeitsentgelt erbringt und die keinen Aufwendungsersatz beinhalten. Nicht erfasst werden hingegen Leistungen, mit denen die Arbeit des Mitarbeiters abgegolten werden soll (z.B. Leistungszulagen, Sonn- und Feiertagszulagen, Bonuszahlungen aus Zielvereinbarungen).
In der Praxis wird diese Gestaltungsoption leider so gut wie nicht genutzt. Dies liegt weniger daran, dass Arbeitgeber hierfür zusätzliches Geld in die Hand nehmen müssen als daran, dass die Kürzung gesetzlich gedeckelt ist. Für jeden Tag der Arbeitsunfähigkeit infolge von Krankheit darf höchstens ¼ des Tageswerts der Sondervergütung einbehalten werden. Im Ergebnis bedeutet dies, dass z.B. eine Anwesenheitsprämie in Höhe eines Monatsgehalts erst bei 4-monatiger Arbeitsunfähigkeit im Jahr entfällt. Entsprechend ist dieses Instrument für viele Arbeitgeber uninteressant.
Alternative: Kürzung vertraglichen Zusatzurlaubs!
Da gerade inländische Arbeitnehmer in der Regel eher „urlaubssensitiv“ sind, erscheint die arbeitsvertraglich vereinbarte Option, nach der der Arbeitgeber berechtigt wird, den vereinbarten vertraglichen Zusatzurlaub anteilig zu kürzen, sollte der/die Arbeitnehmer:in im Vorjahr jenseits definierter Tage arbeitsunfähig krankgeschrieben ausfallen, als motivatorisch wirksamer Anreiz, die eigenen Krankmeldungen zu reduzieren.
Rechtlich stellt sich hierbei zunächst die Frage, ob auch die Kürzung vertraglichen Zusatzurlaubs aufgrund krankheitsbedingter Fehltage ebenfalls am Maßstab von § 4a EGFZ zu messen ist. Dies ist bis dato höchstrichterlich noch nicht abschließend geklärt. Das Landesarbeitsgericht Rheinland-Pfalz ging in einer Entscheidung von 2012 davon aus, dass die Vereinbarung zur Kürzung von vertraglichem Zusatzurlaub grundsätzlich zulässig ist und nicht der Limitierung des § 4a EFZG unterfällt, da Urlaub keine Sondervergütung darstellt (LAG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 01.03.2012 - 11 Sa 647/11). Etwas anderes gelte allerdings für den Fall, dass der Arbeitgeber – freiwillig - ein zusätzliches Urlaubsgeld leistet, da die Urlaubskürzung in diesem Fall wieder unmittelbar zur Kürzung einer Sondervergütung (wegen Arbeitsunfähigkeit) führe.
Das Bundesarbeitsgericht ließ diese Frage bislang ebenfalls offen. In seiner Entscheidung vom 15.10.2013 (Az. 9 AZR 374/12) beschäftigte sich das BAG ausdrücklich lediglich mit der AGB-Konformität der Klausel und stellte im vorliegenden Fall einen Verstoß der Vertragsklausel gegen das Transparenzgebot fest. Offen und ebenfalls ungeklärt bleiben zudem Auswirkungen der Urlaubsrechtsprechung des EuGH auf das Verständnis und die Auslegung von § 4a EFZG (Stichwort: Vergütungs- und Erholungscharakter des Urlaubs).
Klarheit schaffte das BAG jedoch hinsichtlich grundsätzlich zu beachtenden Anforderungen einer entsprechenden vertraglichen Regelung:
Es muss in der Klausel klargestellt werden, ob jeder Krankheitstag (d.h. auch Sonntag, gesetzlicher Feiertag) oder nur die Krankheitstage, an denen der Arbeitnehmer seine Arbeitsleitung schuldet, zur Kürzung führen (Transparenz der Kürzungsregelung). Ersteres dürfte zudem zur Klauselunwirksamkeit wegen unangemessener Benachteiligung führen.
Auch muss in der Klausel klargestellt werden, dass für die Berechnung des Kürzungsumfangs sämtliche AU-Zeiten des Jahres aufsummiert werden (jährliche Gesamterkrankungen) und es eben nicht auf die Dauer der einzelnen Erkrankung (Teilerkrankungen) ankommt (Transparenz der Kürzungsstaffelung).
Vorsichtshalber ist Arbeitgeber zu empfehlen, Arbeitsunfähigkeiten aufgrund von Arbeitsunfällen explizit von der Kürzung auszunehmen, um dem Gesichtspunkt der Betriebsrisikoverteilung hinreichend Rechnung zu tragen.
Was gilt also nun?
Da die Zulässigkeit einer vertraglichen Klausel zur Kürzung vertraglichen Zusatzurlaubs von der Rechtsprechung daher jedenfalls nicht verneint wurde, bestehen Gestaltungsspielräume. Eine aus unserer Sicht geeignete Vertragsklausel könnte z.B. die gestaffelte Kürzung eines 10-tägigen Zusatzurlaubs des Folgejahres bei Überschreiten von insgesamt 4 Krankheitstagen/Jahr wie folgt vorsehen:
5 bis 9 Fehltage/Jahr: 2 Tage Zusatzurlaub entfallen,
10 bis 14 Fehltage/Jahr: 4 Tage Zusatzurlaub entfallen,
15 bis 19 Fehltage/Jahr: 6 Tage Zusatzurlaub entfallen,
20 bis 24 Fehltage/Jahr: 8 Tage Zusatzurlaub entfallen,
ab 25 Fehltagen/Jahr: Der gesamte Zusatzurlaub (10 Tage) entfällt.
Neuabschlüsse und Vertragsänderungen (wie z.B. anlässlich freiwilliger Gehaltserhöhungen) könnten zum Anlass genommen werden, eine entsprechende arbeitsvertragliche Motivationshilfe zu verankern. Dabei sollten die Vorgaben der Rechtsprechung genau eingehalten und aktuelle Entwicklungen im Blick behalten werden. Zu beachten ist hierbei, dass die Gestaltungsoption nicht zur Verfügung steht, wenn der Zusatzurlaub tarifvertraglich vorgegeben ist. Auch sollten Arbeitgeber individuelle Handlungsspielräume nutzen und High-Performer sowie begründete Einzelfälle ggf. von einer Kürzung ausnehmen. Die Kürzungsbefugnis sollte daher nicht als Automatik, sondern lediglich als arbeitgeberseitige Option ausgestaltet werden.
Aus unserer Sicht kann die Option zur Kürzung vertraglichen Zusatzurlaubs bei individuell hohem Krankenstand ein motivatorisch höchst wirksames Instrument zur perspektivischen Reduzierung hohen Krankenstandes sein, der zudem kein zusätzliches finanzielles Investment des Arbeitgebers erfordert. Die Gestaltungsoption gehört daher u.E. in den arbeitsvertraglichen Werkzeugkasten jedes tarifungebundenen Arbeitgebers.